Porträt:Nicht reich, aber glücklich

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Liebt Literatur und die Natur: Brigitte Binder, die langjährige Leiterin der Stadtbücherei Grafing. (Foto: Christian Endt)

Brigitte Binder hat die Stadtbücherei Grafing um viele Kooperationen bereichert. Nun verlässt die Leiterin das Haus

Von Yvonne Münzberg, Grafing

Nach 38 Jahren, davon 15 als Leitung, verlässt Brigitte Binder zum September die Stadtbücherei Grafing. "Mehr mit einem weinenden Auge als alles andere", sagt sie. Doch nicht nur ihr selbst geht es so - auch aus der Stadt, aus dem Büchereiteam kommt immer wieder die Frage: Warum? Warum geht sie gerade jetzt, wo es doch so gut läuft? Sicherlich könnte Binder die Bücherei noch einige Jahre leiten. "Die Ideen sprudeln nicht mehr so wie früher", begründet die 63-Jährige ihre Entscheidung. "Ich möchte keine Bremse sein." Außerdem werde der Abschied später sicher nicht leichter, sagt die Frau, die eigentlich so viel lacht, mit Tränen in den Augen. Es fällt ihr schon jetzt schwer - voller Sympathie spricht sie von ihrem Team, "das beste der Welt, ehrlich". Die Gemeinschaft in der Bücherei sei in all den Jahren immer das Schönste gewesen, ihre Mitarbeiter gäben ihr jeden Tag die Kraft, zur Arbeit zu gehen.

Eigentlich hatte Brigitte Binder einen Halbtagsjob bei einem Steuerberater, als sie vor 38 Jahren anfing, ehrenamtlich in der Bücherei mitzuhelfen. Viele Jahre lang investierte sie ihre freie Zeit in das Ehrenamt, bis sie sich schließlich dazu entschloss, das Hobby zum Beruf zu machen. Es folgte eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung zur Büchereileitung.

Im September 2003 trat Binder dann die Leitung der Stadtbücherei an. Seitdem hat sich viel verändert - zum Guten. Auch, wenn Binder oft dafür kämpfen musste. Als sie anfing, gab es so gut wie keine Kooperation mit den Schulen, mehr als zwei Jahre war das ein "intensives Buhlen". Heute ist jeden Vormittag eine Grundschulklasse zu Besuch, zur Ausleihe und zum Vorlesen. Den Mittelschulen werden Bücherkisten gebracht, mit dem Gymnasium werden verschiedene Veranstaltungen organisiert. Die Kinder zum Lesen bringen, das war Binder von Anfang an eine Herzensangelegenheit. "Nehmt euren Kindern nicht die Fantasie!", so ihr Appell an die Eltern von zukünftigen Erstklässlern, denen sie jedes Jahr ihre Einrichtung vorstellt. Denn Bücher fördern die Fantasie, und: "Lesen ist die wichtigste Grundlage überhaupt", sagt Binder.

Auch die Zusammenarbeit der Büchereien im Landkreis hat Binder verstärkt. Gemeinsam mit der Kollegin aus Vaterstetten wurde ein Büchereinetzwerk gegründet, über das ein gemeinsamer Katalog möglich wird. Pro Jahr muss die Bücherei knapp 3 500 neue Medien einkaufen, und genauso viele müssen auch wieder aussortiert werden. Klassiker, die selten ausgeliehen werden, können dann etwa an kleinere Büchereien weitergegeben werden und gehen nicht verloren, es profitieren also alle von dem Netzwerk. "Ein Geben und Nehmen", sagt Binder. Das gefällt ihr deutlich besser als der Konkurrenzgedanke, der vor einigen Jahren noch unter den Büchereien, von denen jede ihre eigenen Stärken vorweisen könne, geherrscht habe. Jetzt ziehen alle an einem Strang, Binder schwärmt davon, dass die anderen Leiterinnen so offen und kooperativ seien. "Wir Bibliothekarinnen", lacht Binder, "sind eben ein eigener Schlag".

Die Arbeit selbst hat viel mit Bürokratie, mit Organisation zu tun. Besonders viel Zeit nimmt die Planung von Veranstaltungen ein, aber "das ist eben gelebte Bücherei." Reich werde man damit nicht, aber glücklich. Auch mal am Sonntag früh aufstehen und Bücher sortieren, das gehört ebenfalls dazu. Das Team, das aus 42 Mitarbeitern und 18 Vorlesern besteht, muss sich vertrauen können, einspringen, wenn mal jemand ausfällt. Das funktioniert in Grafing gut.

Binders Wunsch für die Zukunft? Dass alles gut weitergeht - aber "mit der richtigen Person ist das zu schaffen." Ein Diplom sei dabei nicht so wichtig, soziale Kompetenz hingegen unabdingbar. Aber Binder ist zuversichtlich, dass ihre Kolleginnen die neue Leitung gut einarbeiten und unterstützen werden.

Zuhause hat Brigitte Binder kein Bücherregal stehen, dafür ist die Auswahl in der Bibliothek groß genug. Zuhause, das ist ein gemütlich eingerichtetes Haus samt großem Garten mit Terrasse, Bäumen und einer Wildwiese. Für die fünf Bienenstöcke, die Binder hält, um die Natur zu fördern und auch für selbstgemachten Honig. "Jedes Jahr schmeckt er anders", erklärt sie, "je nachdem, wie Sonnentage und Blütezeit in Relation stehen". Dieses Mal ist er recht fest geworden, wegen der vielen Frühlingsblumen. Die Natur, das merkt man der 63-Jährigen an, ist neben den Büchern ihre zweite Leidenschaft. Mit ihrem Mann ist sie jahrelang immer wieder nach Schweden gefahren, zum Schwammerl sammeln, durch den Wald spazieren, die Ruhe genießen. "Dabei waren wir uns selbst immer genug", erzählt sie. Vor fünf Jahren ist ihr Mann verstorben, er und sein Rückhalt fehlen Brigitte Binder sehr.

Aber da sind ja noch ihre Kinder und die beiden Enkel, Junge und Mädchen, die sie fast jedes Wochenende besuchen. Dann wird gemeinsam gespielt, gekocht und natürlich auch gelesen. Dafür, und auch für ihren großen Garten, wird Brigitte Binder nun bald noch mehr Zeit haben. Für das nächste Jahr ist außerdem eine Reise auf die Tropeninsel Mauritius geplant, das Ganze wurde von Freunden organisiert. Im Ruhestand möchte Binder auch wieder öfter nach Schweden fahren. "Außerdem", sagt sie und lacht, "kann ich dann jeden Tag in meinen Jacuzzi gehen. Mindestens zwei Mal!"

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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