Ägypten-Ausstellung:Die Stimme der Pharaonen kommt aus Moosach

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Julia Müller Tauschwitz hat die Texte der Ägypten-Ausstellung in Rosenheim recherchiert und gesprochen. Angefangen hat alles mit einer - wie sie sagt - "Schnapsidee".

Porträt von Viktoria Spinrad, Moosach

Ein kleines, ausgepolstertes Tonstudio, von einer Art Höhlenlampe beleuchtet. Hinter Kopfhörern, Mikrofon und einem Bildschirm mit Tonwellen lugt ein Pandabär aus Stoff hervor, der einen neugierig anschaut. "Wenn man versucht, einen gelesenen Text zu sprechen, muss man sich immer ein Gegenüber vorstellen", erleutert Julia Müller Tauschwitz die Präsenz des kleinen Tierchens.

Hier, in dem kleinen Raum mit Pandabär auf dem Moosacher Dachsberg arbeitete die 46-Jährige über Monate daran, die älteste Hochkultur der Welt lebendig zu machen: das alte Ägypten. Denn Müller ist die Stimme der "Pharao"-Ausstellung, die derzeit im Lokschuppen Rosenheim zu sehen ist. Wer den Audio-Guide zur Hand nimmt, hört die klare, ruhige Stimme der Moosacherin.

Das mag erst einmal nicht ungewöhnlich sein, wenn man annimmt, dass der Beruf als Sprecher ungefähr so ausschaut: Sprecher bekommt Text, übt ihn ein paarmal, nimmt ihn auf, schickt ihn weg. Was aber, wenn es noch gar keine Texte gibt? Die Exponate, die man erklären soll, noch nicht einmal im Land sind, teils erst einen Tag vor der Eröffnung im Museum ankommen? Auf so ein Abenteuer hat sich Sprecherin Julia Müller Tauschwitz, die auch Ägyptologin ist, für die Pharao-Ausstellung eingelassen. So schlüpfte sie gleich in mehrere Rollen: wissenschaftliche Mitarbeiterin, Texterin, Übersetzerin und Sprecherin. Geplant war das so eigentlich nicht.

"Es war eine Schnapsidee", erzählt die lebhafte Frau, die seit 2007 in Moosach lebt. Sie faltet ihre Hände und erzählt: Nach dem Besuch der Wikinger-Ausstellung im Rosenheimer Lokschuppen mit Mann und Tochter im vergangenen Jahr kam ihr die Idee nachzufragen, wer denn die nächste Ausstellung bespreche. Eine Stimme gebe es in der Tat noch nicht, sagte ihr Peter Miesbeck, der Leiter des Museums.

Dann erfuhr sie, dass sich die nächste Ausstellung Ägypten widmen würde. Da fragte sie: "Und wie viele Sprecher gibt es, die nebenher Ägyptologen sind?" Ziemlich selbstbewusst, möchte man meinen, "todesmutig", wie sie selbst sagt. "Was du nicht selber machst, passiert eben nicht", so ihre Einstellung. Doch das Gesamtpaket habe ihn überzeugt, sagt Miesbeck. Er erinnere sich jedenfalls nicht, dass schon mal ein Sprecher auch als Historiker, Texter und Übersetzer fungiert habe.

Eine monatelange Reise zurück in eine alte Kultur

Nach einer Arbeitsprobe bekam die Moosacherin den Zuschlag - der Beginn einer mehrmonatigen Reise zurück in die Kultur, die sie im Studium so liebte, dann aber für andere Anstellungen zurückgestellt hatte. Eine Reise, die chaotischer und arbeitsintensiver wurde, als sie zunächst angenommen hatte. "Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass es zu allem Dokumente gibt", sagt Müller Tauschwitz und deutet auf ihren Bildschirm. Allerdings kamen die meisten der Stücke aus dem schottischen Aberdeen und waren zuvor noch nie gezeigt worden. Was es zu Anfang gab, waren deshalb nur kleine Bildchen der Exponate, anhand derer sie die Audiotexte für 30 Ausstellungsstücke verfassen sollte: der Anfang von vier Monaten Kleinstarbeit, 20 Jahre nach dem Studienabschluss in Ägyptologie.

"Wissenschaftliches Arbeiten verlernt man nicht", bekräftigt Müller Tauschwitz, sie hat auch am Moosacher Heimatbuch mitgewirkt. Aber es habe schon Momente gegeben, in denen sie sich gefragt habe: "Habe ich mich nicht gnadenlos verhoben?" Denn trotz ihres Vorwissens sei die Arbeit kein Leichtes gewesen. "Am Anfang fehlte mir sehr, sehr viel", sagt sie. Um die Lücken zu schließen, Exponate wie Figuren und Totenbücher fachgerecht einzuordnen, wühlte sie in der Fachliteratur, im Internet, sprach mit Wissenschaftlern aus Hildesheim, von wo viele der Ausstellungsstücke kamen.

Julia Müller Tauschwitz an ihrem Arbeitsplatz in Moosach. Die Archäologin hat sich als Sprecherin selbständig gemacht. (Foto: Christian Endt)

"Gerade bei den englischen Fachbegriffen wurde es schwierig", sagt Müller Tauschwitz. Durch ihren Studienhintergrund habe sie aber gezielt Fragen stellen können. Zwischenzeitlich lernte sie auch einige Laiensprecher an, die fiktiven Ägyptern ihre Stimme gaben. Müller Tauschwitz, eine hochgewachsene Frau, stellt sich gerade hin und demonstriert, wie man aus dem Bauch spricht, um einen angenehmen Ton zu erzeugen. "Mitten ins Ohr" solle das Gesprochene gehen, so lautet auch der Name ihrer Firma.

Oder in anderen Worten: "Der Funke muss überspringen." In Westberlin geboren, wuchs Julia Müller Tauschwitz in der Nähe von Kiel auf. Spaß am Sprechen gewann sie bereits in jungen Jahren: Als Viertklässlerin wurde sie Landesmeisterin im Vorlesen auf Plattdeutsch - als Berlinerin. "Mein Rektor hat mir damals beigebracht: Lesen ist nicht einfach Leiern", sagt sie. Mit 16 Jahren habe sie dann während eines Urlaubs auf Kreta beschlossen: "Ich werde Archäologin."

Inspiriert von Hillary Clinton und Manfred Krug

Ein Zufall brachte sie nach dem Studium zu einem Verlag als Lektorin. Sie reiste durch das Land, traf Persönlichkeiten wie Hillary Clinton und Manfred Krug, "eine spannende Zeit", wie sie sagt. Und eine Tätigkeit, bei der ihr Sprachgefühl, das sich in ihren Ausstellungstexten zeigt, sicher nicht zu kurz kam, bevor sie sich als Sprecherin selbständig machte. Eine Tätigkeit, die sie als Mission begreift: "Wir müssen über unsere Vergangenheit Bescheid wissen, um zu wissen, wer wir sind".

Wenn sie mit ihrer lebhaften Art von dem Leben im alten Ägypten erzählt, den Tempeln, den Göttern, den Priesterschaften, dann merkt man, wie die Szenen vor ihrem inneren Auge zum Leben erwachen. "Es ist, wie wenn man durch einen Vorhang lugt", sagt sie, "man kann den Meißel klopfen hören." Im Laufe des Nachmittags steht sie mehrmals auf, rezitiert Texte auf Latein, auf Arabisch, singt ein Türkisches Lied, Gänsehautstimmung.

Es überrascht auch, als sie von den Ägyptern als "eine sehr offene Kultur" spricht, in der Vielfalt zugelassen wurde. Sie beschreibt die damalige Kultur als verhältnismäßig tolerant und progressiv, als eine Welt, in der Götter auch schon einmal miteinander verschmolzen, Frauen erben und sich scheiden lassen durften. Im Oktober reiste Müller Tauschwitz selber nach Ägypten, um die Sphinx auch mit eigenen Augen zu sehen.

"Alle denken an Tutanchamun", sagt die Moosacherein. Aber wie lebten normale Ägypter? Wie waren die Menschen überhaupt in dieses Land gekommen? Wie entstand der Staat? Wie viele Stunden sie in ihrem Moosacher Zuhause zwischen Oktober vergangenen Jahres und März zu solchen Themen und den Exponaten recherchierte, Vermutungen verwarf, nachfragte? - "Die habe ich aufgehört zu zählen", sagt sie. Gezählt hat für sie etwas ganz anderes: "Es hat mich einfach glücklich gemacht", sagt die Archäologin und lächelt so überzeugend, dass man ihr sofort glaubt. "Wenn die Welt ein Ponyhof ist, dann hat mir dieser einen Mordsspaß gemacht", sagt sie und fügt hinzu: "Davon in den nächsten 20 Jahren gerne mehr."

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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