Politik, Gesellschaft und viel Liebe:Gesungen, nicht getanzt

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Der "Kammerchor a cappella" begeistert sein Publikum im Zornedinger Rathaus mit Volksliedern und Tangos aus Argentinien und Kuba. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Zornedinger "Kammerchor a cappella" präsentiert sein neues Programm "Tango Argentino"

Von Katharina Güntter, Zorneding

Tango ist leidenschaftliche Bewegung, körperliche Erotik gar. Doch was, wenn all dies wegfällt? Dass diese Form der Tanzmusik auch gesungen bewegen kann, hat der Kammerchor a capella nun bewiesen. Mit Volksliedern aus Argentinien, kubanischen Rhythmen und Tangos aus Buenos Aires, unter anderem vom Großmeister Astor Piazzolla, brachte das Zornedinger Ensemble dem zahlreich erschienenen Publikum die lateinamerikanische Musik näher, die sanfter als ein typischer Tanztango klang - und doch die Füße zum Wippen brachte.

Der thematische Schwerpunkt des Abends lag dabei auf den unterschiedlichen Formen der Liebe, die die Sängerinnen und Sänger sehr gut darzustellen wussten. In "Canciòn al arbol des olvido" von Alberto Ginastera etwa wird die Geschichte eines unglücklich Verliebten erzählt, der sich unter einen Baum legt, um seine Geliebte zu vergessen. Dessen Misere gab der Chor in der freien Tonalität des Stücks und sauber gesungenen Dissonanzen wider, das Herz des Zuhörers litt gleich mit. Und um das Publikum so richtig mitzunehmen auf seine musikalische Reise in den Süden, stellten die Chormitglieder alle Stücke vor, indem sie die Geschichten hinter den spanischen Texten erzählten.

Auch in dem tragischen Lied "Adiòs Nonino" von Piazzolla schaffte es der Chor, die unterschiedlichen Gefühlslagen der Hauptperson auszudrücken. Wie in der Moderation erklärt wurde, hatte Piazzolla den Tango innerhalb von 30 Minuten komponiert - als Hommage an seinen Vater, der bei einem Fahrradunfall gestorben war. Mit Lauten, die sich wie "leider" anhörten, ließ der Chor die Zuhörer das tiefe Leid des Komponisten nachempfinden.

Doch auch flottere und rhythmischere Stücke brachten die Sängerinnen und Sänger auf den Punkt. Piazzollas Tango "Jacinto Chiclana" zum Beispiel wird traditionell von der Gitarre begleitet, der Zornedinger Kammerchor schaffte es jedoch mit einem einfachen "Dumm, Dumm", auch die vocale Begleitung wie Gitarrengriffe klingen zu lassen.

Neben der Liebe thematisierten die Sängerinnen und Sänger die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe des 20. Jahrhunderts. "Mulata" von Nicolas Guillen zum Beispiel ist ein Lied des Spotts: Der Protagonist wird für seine große Nase von einer Dame verlacht, macht aber keinen Hehl daraus, dass er diese Form der Eitelkeit nicht mag - und verspottet die Dame ihrerseits wegen ihres großen Mundes. Auch dieses Gefühl konnte der Kammerchor wunderbar umsetzen, indem die Sängerinnen und Sänger aufgeweckter agierten, mit akzentuierter Mimik und ebensolchem Gesang. Ebenfalls bewegte Regung fand sich in "Drume Negrita" von Eliseo Grenet. In dem zunächst eher ruhigen Wiegenlied kann der Sohn nicht einschlafen, da seine Füße bereits aus der Wiege herausschauen. Die Mutter - präsentiert in einem tollen Altsolo - verspricht ihm daraufhin liebevoll eine neue Wiege. Später droht sie ihm aber auch "Haue, Haue" an, wenn er nicht bald einschlafen sollte. Diesen Teil übernahm eine Sopranistin, deren streng-lebendigem Ausdruck sich der Chor wunderbar anpasste.

Ein Höhepunkt auch "Esas no son Cubanas" von Ignacio Piñero. Dieser Son, ein Musikstil aus Kuba, der das Fundament für Tänze wie Cha-Cha-Cha und Rumba legte, ist ein Loblied auf die Frauen Kubas, die "Königinnen des Paradieses". Auch ganz ohne Instrumente ließen die Chormitglieder hier die Trommeln erklingen, wie man sich das bei kubanischen Liedern vorstellt. Der bewegtere und fröhlichere Rhythmus brachte sowohl Darsteller als auch Publikum zum Mitwippen.

Trotz der fremdsprachigen Texte entstanden in den Köpfen der Zuhörerinnen und Zuhörer jeweils Bilder zu den Liedern, da es dem Chor gelang, diese musikalisch malend zu imaginieren. In "Zamba del rio" etwa ließ er mit reibenden Akkorden und Imitationen einen Fluss lebendig werden, der sich seinen Weg ins Tal bahnt. Egal ob sehnsuchtsvoll, traurig, leidenschaftlich, höhnend, angreifend oder belehrend: Der Kammerchor a capella fand stets den richtigen Ton, sodass das Publikum seine Tango-Geschichten ganz intuitiv miterleben konnte.

© SZ vom 15.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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