Pöbelnden Passagieren Paroli bieten:Gut unterwegs

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Die Schülerbegleiter der Klassen acht bis zehn der Ebersberger Mittelschule und ihre Lehrerin Dorothea Görlitz (hinten 2.v.l). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schülerbegleiter sollen ihre Altersgenossen in der S-Bahn auf Fehlverhalten hinweisen. Kleine Hilfssheriffs sind die jungen Leute aber ausdrücklich nicht, es gilt: "überzeugen statt petzen"

Von Christian Bauer, Ebersberg

"Hallo, wir sind DB-Schülerbegleiter." Wenn Kinder oder Jugendliche diese Worte hören, bedeutet das zumeist, dass sie etwas falsch gemacht haben. So auch in diesem Fall: Zwei Jungen versperren ihrem Mitschüler die Tür hinaus auf den Bahnsteig, in wenigen Sekunden wird sie sich wieder schließen. Aber Hilfe naht in Form zweier Mädchen. Eine lenkt die Täter gerade lange genug ab, dass die andere das Opfer vor sich her zur nächsten Tür schieben kann. Geschafft! Freilich ist dies nur eine Übung unter den wachsamen Augen des Ausbilders Klaus Figur.

In Echt haben die Schülerbegleiter der Ebersberger Mittelschule einen derartigen Fall noch nicht erlebt. Dafür aber so einiges anderes: Beispielsweise habe Delia Löffler aus der zehnten Klasse zwei Jungen zurechtgewiesen, die mit einem Feuerzeug am Mülleimer in der Bahn herumgespielt hätten. Für Achtklässler Vincent Linnemans sei es ein hartes Stück Arbeit gewesen, einen Schüler davon abzubringen, die Füße vom Bahnsteig baumeln zu lassen. Ansonsten eher Kleinigkeiten: Schüler, die laut Musik hören und herumschreien, die Schuhe auf den Sitzen haben, oder Hilfe an den Fahrkartenautomaten brauchen.

Schulen aus dem gesamten "Speckgürtel München" nehmen laut Björn Hilgenhof von der Deutschen Bahn (DB) an dem Projekt teil. Dorothea Görlitz, verantwortliche Lehrerin an der Mittelschule Ebersberg, erklärt: Die Aufgabe der Schülerbegleiter bestehe darin, "bei brenzligen Situationen in und an der S-Bahn" zu helfen, indem sie auf Fehler "freundlich hinweisen" und Streit "ruhig schlichten". Ganz wichtig dabei: Nie allein tätig werden, und nie einen älteren Schüler oder gar einen Erwachsenen auf Fehlverhalten ansprechen - die eigene Sicherheit geht unbedingt vor, wie Görlitz und Klaus Figur ihnen einschärfen.

Figur, gelernter Lokführer, hat über die Jahre etwa 2100 Bahnbegleiter ausgebildet, im Durchschnitt 16 pro Jahr aus der Ebersberger Mittelschule. Wie aber wird man überhaupt zum Schülerbegleiter? Görlitz zufolge wird allen Achtklässlern das Projekt von Klaus Figur vorgestellt. Anmelden darf sich jeder Interessierte, der eine Einverständniserklärung der Eltern bekommt. Dies war im Fall der Ebersberger kein Problem: Die meisten Eltern hätten sich über den Willen ihrer Kinder, sich zu engagieren, gefreut. Zu lernen, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten solle, sei ja auch "Schutz für einen selbst", ergänzt Johanna Oettl aus Görlitz' diesjähriger achter Klasse.

Weitere Voraussetzung ist, dass die schulischen Leistungen nicht unter der Ausbildung leiden. Über einen Zeitraum von circa zehn Wochen durchlaufen die angehenden Schülerbegleiter gut 20 Unterrichtseinheiten. Darin lernen sie - zunächst theoretisch - von Lehrern, Bahnpolizei und Sicherheitsbeauftragten das richtige Verhalten in der und um die S-Bahn.

Am Ende des Theorietrainings steht ein Test an. Durchfallen kann man hier nicht, aber die Ergebnisse werden in der Gruppe besprochen. Einige haben bei der Frage, was man tun solle, wenn ein Fahrgast die Füße auf dem gegenüberliegenden Sitz ablege, Mit dem Lokführer sprechen angekreuzt. "Ich glaube, ich würde verrückt werden", lacht Figur. "Leute, deswegen seid ihr doch Schülerbegleiter. Da müsst ihr schon selbst tätig werden."

Tätig werden müssen - oder besser können - die ausgebildeten Schüler in einer Vielzahl möglicher Situationen. Einige davon werden an Tag zwei des praktischen Trainings durchgespielt. Tag eins indes beschäftigte sich mit den Noteinrichtungen: Wo sind die Feuerlöscher? Wie bedient man die Sprechanlage, oder den Nottüröffner? Die Übungen finden in einer abgestellten S-Bahn auf dem DB-Gelände in München-Steinhausen statt.

Ein Schüler bekleidet die Rolle des Übeltäters, der die Schuhe auf den Sitzen hat oder laut Musik hört - alltägliche Begebenheiten, die fast jeder kennt und denen die Schülerbegleiter entgegenwirken sollen. Stets paarweise zeigen die Anwärter, was sie gelernt haben. Ruhig gehen sie auf ihn zu, halten sich an den Griffen fest, um nicht beim Anfahren oder Bremsen das Gleichgewicht und damit die Autorität zu verlieren. Mit sachlichen Argumenten versuchen sie, den Täter zu überzeugen: "Du möchtest dich doch auch nicht auf einen Platz setzen, auf dem vorher die Füße von jemand anderem waren. Außerdem nimmst du damit Fahrgästen den Platz weg, und wenn du erwischt wirst, kann es mit bis zu 170 Euro auch noch ziemlich teuer werden." Figur ist im Großen und Ganzen zufrieden mit seinen Schützlingen, hat aber auch Verbesserungsvorschläge: Noch lauter und selbstbewusster reden und auf Körpersprache achten.

Manche, die in die Rolle der Täter schlüpfen, lassen sich von ihren Kollegen partout nicht überzeugen. Was in solchen Fällen zu tun sei? "In Ruhe lassen", so Figur. Da sei eben nichts zu machen. Angeschwärzt soll niemand werden - das Motto der Schülerbegleiter lautet "überzeugen statt petzen". Die Ausnahme: Wenn jemand eine Straftat begeht. Ein solches Beispiel hat Zehntklässlerin Anabel Lopez erlebt: Bei zwei Jugendlichen, die Steine auf die Gleise geworfen hätten und auf Ansprache hin nur frech geworden seien, habe sie sich gezwungen gesehen, den Lokführer einzuschalten.

Für den Posten als Schülerbegleiterin habe Anabel sich im Übrigen eingetragen, da sie davon genervt gewesen sei, dass keiner der Mitschüler sich in der Bahn zu benehmen gewusst habe. Andere geben an, sich dafür entschieden zu haben, um Menschen helfen zu können, und um selbst zu wissen, wie man in heiklen Momenten zu reagieren habe. "Es hat mein Selbstvertrauen gestärkt", verrät Delia. Einige hätten auch gar nicht anders gekonnt als teilzunehmen, da Görlitz das Projekt "end krass" beworben habe. Andere Beweggründe sind berechnender Natur: Die Schülerbegleiter-Urkunde mache sich gut in der Bewerbungsmappe.

Sie alle haben den Eindruck, dass sie einen wichtigen Posten bekleiden. "S-Bahnfahren kommt nicht mit einer Anleitung", erklärt Anabel. "Da ist es gut, wenn wir da sind." Deshalb stehen die Bahnbegleiter auch drüber, dass sie von manchen Übeltätern belächelt oder angemeckert werden. Die meisten Reaktionen seien positiv - auch die der Umstehenden. "Es ist schon lustig", findet Vincent. "Ältere Damen und Herren gucken einen mit einem Lächeln an und freuen sich, dass man hilft."

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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