Pliening:Immer im Takt

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Seit einem Vierteljahrhundert gibt es die Geltinger Musikkapelle. Nachdem das Jubiläumskonzert wegen Krankheit ausfallen musste, proben die Mitglieder jetzt für den Auftritt zum Wiesn-Einzug

Von Alexandra Leuthner, Pliening

Es ist gar nicht so einfach, ein klares "g" oder "a" auf der Klarinette zu spielen, wenn man dabei auch noch in flottem Tempo marschieren, auf seine Mitmusikanten hören und aufpassen muss, dass man nicht in einen Pferdeapfel tritt, der auf der Straße liegt. Natürlich ist das mit den klaren Tönen und dem Melodiehalten in musikalischer Gemeinschaft auch ohne die besondere Schwierigkeit, die sich den Mitgliedern der Musikkapelle Gelting beim Trachteneinzug zum Oktoberfest stellt, eine Kunst. Sonst könnte das ja jeder - aber weit gefehlt. Um Aufnahme in die Traditionskapelle zu finden, die vor 25 Jahren von Vater und Sohn Günther Schuler aus Pliening gegründet worden ist, muss man schon mindestens das bronzene Leistungsabzeichen Musik vorweisen können. Oder aber über ausreichend Erfahrung verfügen, wie die Vereinsvorsitzende Anke Hierl erklärt, die als Klarinettistin in der Kapelle spielt. "Wenn einer seit zehn Jahren Trompete spielt, dann kann man davon ausgehen, dass man ihm eine gewisse Verantwortung übertragen kann", ergänzt Dirigent Günther Schuler - der Jüngere. Wobei sein Vater, nicht nur der besseren Unterscheidbarkeit wegen, sondern "weil er es halt einfach ist", meist nur "der Pa" genannt wird. Nicht nur von seinem Sohn.

Ohne den Pa hätte es die Musikkapelle Gelting wohl nie gegeben, zumindest hätte sie anders geheißen. Das Haus der Schulers liegt genau auf der Flurgrenze zwischen den beiden Ortsteilen Pliening und Gelting, zwischen denen von je her eine gewisse Rivalität besteht. Und die spielte auch bei der Namensfindung für den im Jahr 1991 noch recht jungfräulichen Zusammenschluss von Musikern aus der Schulerfamilie und ganz schnell dazu geholten Freunden wieder mal eine Rolle. Bei einem Weißwurstessen im Schulerstüberl war es, erzählt der Senior, der in Statur und Stimme prächtig mit seinem tief gestimmten Blasinstrument, der Tuba harmoniert. Damals sei die Idee aufgekommen zur Gründung einer Kapelle. In der Familie war immer schon musiziert worden, an Hackbrett und Harfe, der musikalische Sohn Günther trällerte schon als Kind mit den Domspatzen, wo er auch das Internat besuchte.

Auch aufs Gwand kommt es an beim Trachten- und Schützenumzug, an dem die Geltinger alljährlich teilnehmen. (Foto: privat)

Gemeinsam mit den Poinger Schützen war man auch musikalisch unterwegs, was lag also näher, als selbst etwas auf die Beine zu stellen. Am selben Tag noch, dem Tag des schicksalhaften Weißwurstessens, "war die Kapelle ausgemacht", erinnert sich der Pa. Bei der Geburtstagsfeier eines Freundes der Familie trat man zum ersten Mal gemeinsam auf - als Blaskapelle Gelting. Schuler senior hatte auf den Tisch gehauen und ist noch heute, 25 Jahre später, kurz davor, es wieder zu tun, bei einem Treffen im Musikerstüberl des Bürgerhauses, um zu betonen, dass er damit Recht hatte.

Nicht nur weil die Rückseite seines Hauses nach Gelting hinaus geht, sondern "weil man da dahoam is', wo man in'd Kirch ganga is'." Und das war eben die alte Pfarrkirche in Gelting. Seither hat Schriftführer Georg Rittler, als früherer Bürgermeister überzeugter Plieninger und, ohne je ein Instrument gespielt zu haben, von Anfang an Vereinsmitglied, immer den Schriftzug Gelting vor Augen, wenn er irgendetwas in Sachen Musikkapelle schreibt oder verschickt. Er könne damit leben, sagt er mit einem Augenzwinkern und führt Besucher voller Stolz in das Musikstüberl im Keller des Bürgerhauses hinunter. Extra für die Kapelle und der besseren Akustik wegen ist die Kellerdecke beim Bau des Gebäudes auf drei Meter erhöht worden - und der Raum ist alles andere als ein Stüberl. Auf drei Stufen angeordnet stehen die Notenständer der derzeit 45 Musiker fast wie für ein Sinfonieorchester. Ein paar Instrumente lehnen hier und da, Schlagwerk, zwei Schlagzeuge, E-Pianos zeugen davon, dass in diesem Kellerraum Musik in der Luft liegt, bayerisch-böhmische Blasmusik, Volks-, Marsch- und Unterhaltungsmusik, zeitgenössische Werke ebenso wie Filmmelodien. Mindestens einmal die Woche wird geprobt, in der Vorbereitung auf einen Auftritt, etwa das Kirchenkonzert, das die Kapelle jedes Jahr am letzten Sonntag vor dem Advent gestaltet, noch öfter. Wenn Klarinette, Posaune und Trompete die exotische Melodie von Ravels Bolero intonieren muss jeder Ton sitzen. Und Johann Sebastian Bach würde sich wohl im Grabe umdrehen, wenn seine Fugen in der Kontra-Punktierung holperten. Manchmal holt sich Dirigent Schuler auch einzelne Register zu Extra-Proben zusammen, wenn es an speziellen Stellen etwas hakt. Schließlich will er nie wieder so etwas erleben - und eigentlich auch nicht mehr daran erinnert werden - wie bei einem Kirchkonzert vor etlichen Jahren. Und dann erzählt er es doch: Durch einen Kopierfehler spielten die Klarinetten vorne in einer anderen Tonart als die Blechbläser hinten. Als die einen in F-Dur endeten, die anderen in Es-Dur, atmete nicht nur der Dirigent erleichtert auf.

Um die Geschicke des Vereins kümmern sich Anke Hierl, Georg Rittler, sowie Günther Schuler sen. und jun. (Foto: Christian Endt)

1994 hat er seine Lizenz gemacht, zwei Jahre später sein Zeugnis bekommen, weil er vorher zu jung dafür gewesen war. Schuler weiß genau, wo er bei seinen Musikern nachhelfen, wo er glätten oder wo er mehr Tiefe herausholen kann. Als Dirigent muss man auch wissen, wie die Töne gebildet werden im Blech oder im Holz. An welcher Stelle der Posaunist tief Luft holen, der Klarinettist ein wenig nachlassen muss.

Einmal habe er sich einen Gastdirigenten geholt, erzählt er, in der Hoffnung, der würde vielleicht mal an anderen Stellen feilen und den Musikern etwas mehr Respekt einflößen, doch die Hoffnung hat sich für ihn nicht erfüllt. "Er hat sich zu sehr uns angepasst, nicht umgekehrt." Also hat Schuler - der die Zeit "im Glied" dennoch genossen hatte, um wieder einmal die Ventile seines Baritonhorns zu drücken - wieder selbst das Ruder übernommen.

Und der nächste Auftritt wird wieder ein Großer sein, nachdem ihr Sommernachtskonzert zum 25-Jahr-Jubiläum Ende Juli wegen Erkrankung einiger Musiker ausgefallen war. Zum 18. Mal in ihrer Geschichte darf die Kapelle nun beim Trachteneinzug zur Wiesn mitmarschieren. Was wohl auch den schönen Kleidern zu verdanken ist, die eigens für die Geltinger Kapelle 1994 entworfen wurden. Dem Trachtengewand auf einer Votivtafel von 1748 in der Geltinger Kirche ist sie nachempfunden; Günther Schulers Mutter hatte die ersten Entwürfe gefertigt. Lange Faltenröcke in blau, grün, schwarz und weinrot, mit einem miederartigen Oberteil, eine Bramal als Haube und ein schwarzes Spenzerjäckchen dazu. Während die Männer schwarze Kniebundhosen tragen, einen knielangen Tuchrock in verschiedenen Farben, darunter eine lange rote Tuchweste mit Silberknöpfen und einem Holzknechthut. "Je bunter die Tracht, desto besser", hatte der damalige Bezirksheimatpfleger Stefan Hirsch gesagt. Schließlich seien die Bauersleut im 18. Jahrhundert auch nicht alle im gleichen Anzug aufs Feld gegangen.

Das Foto aus dem Gründungsjahr 1991 zeigt unter anderem die Aktiven Matthias Frick, Tobias Burghart, Stephanie Strasser sowie Vater und Sohn Schuler. (Foto: privat)

Dem Auswahlkomitee für den Trachtenumzug gefällt das - weshalb die Geltinger in diesen Tagen auch nicht nur ihren Jubiläumsmarsch üben müssen, den sie zur 1200-Jahr-Feier des Ortes geschenkt bekommen haben, sondern auch das Marschieren. Damit in drei Wochen keiner aus dem Takt kommt.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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