Ottersberger Kulturstadl:Wo die wilden Saiten flimmern

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Leidenschaftlicher Auftritt von Rudi Zapf und "Zapf'nstreich"

Von Ulrich Pfaffenberger, Pliening

Eine Woche Aufnahme-Arbeit im Studio, das kann selbst für erfahrene Haudegen wie Rudi Zapf und Zapf'nstreich zur Mühe werden. Immer wieder neu ansetzen, immer wieder nach der Perfektion streben, die einer CD würdig ist. Umso befreiender fällt dann am Ende der Tage ein Live-Auftritt aus, wenn die Last der vergangenen Tage abgeworfen ist und einem statt der kritischen Technik wieder ein erwartungsvolles Publikum als Messpegel für die eigene Kunst gilt. Juchzend wie eine Seilschaft, die nach schweißtreibendem Aufstieg vom Gipfel wieder ins Tal stürmt, eroberte sich das Quartett am Samstagabend die Bühne im Ottersberger Kulturstadl und lieferte ein Konzert ab, das vor Leidenschaft und Spielfreude barst.

Die Stücke selbst, inklusive Zugaben fast zwei Dutzend, waren geprägt von der Suche nach der "hackbrettologischen" Substanz von Melodien aus aller Welt. Rudi Zapfs Leib- und Mageninstrument ist nicht nur die Dominante im Klangbild des Ensembles, in der Art und Weise, wie er sie spielt, eröffnet die Hackbrettstimme stets auch den Zugang zum Kern, zur Seele eines Stücks. Seine Kunst besteht darin, als Bandleader nicht die Rolle und den Einfluss der anderen Instrumente zu schmälern, gleichwohl aber das Klangbild unverkennbar zu machen. Wie er das hinbekommt, ist ein Genuss, so groß, dass er die Trägheit der abendlichen Sommerhitze vergessen und das Publikum im Stadl ungebremst mitgehen lässt.

Bestes Beispiel dafür ist gegen Ende des Konzerts ein Zwiefacher aus der Holledau, das "Suserl", das sich mit Ansage und unfassbar gewagtem Sprung in den bekanntesten Zwiefachen der Welt verwandelt, diesmal aus Chicago und "Nimm Fünfe" genannt. Aus dem Gedankensprung über den Ozean wird ein Saitentanz von überwältigender Eleganz, der den hundertmal gehörten Jazz-Standard in eine musikalische Form kleidet, nach der man sofort süchtig wird.

Oder die Malagueña, direkt zuvor, ein flamencoartiger Tanz aus dem Süden der iberischen Halbinsel. Nicht genug damit, dass die vier das flotte Tempo schier mühelos aufnehmen und halten. Sie bewegen sich zudem mit einer Grandezza durch das wilde Geflecht von Tempi und Kadenzen, dass es eine wahre Freude ist. Es ist eben nicht "irgendwas Spanisches", was das Publikum da zu hören bekommt, sondern eine tiefgreifende Metamorphose der Zapf'nstreicher. Sie bringen die Seele der Melodie zum Klingen und schenken ihr gleichzeitig den spielerischen Elan, der den Unterschied ausmacht zwischen Können und Kunst.

Fällt in diesem Stück Steffen Müller am Kontrabass die Solo-Improvisation zu, der er sich im fliegenden Wechsel zwischen Saiten-Zupfen und Korpus-Trommeln hingibt, hat beim "Suserl" der Saxofonist Gerhard Wagner seinem Instrument himmelhoch Jauchzendes entlockt und sich Gitarrist Andreas Seifinger beim "Morenita do Brasil" wieder einmal als Philosoph des Fingerspitzengefühls erwiesen, so steht doch die Kraft des Miteinanders bei diesem Auftritt über dem individuellen Glanz. Ein Niveau, das nur wirklich gute Ensembles erreichen, in denen der eine noch ehrliche Freude darüber empfindet, was der andere kann.

Genau deshalb gelingt es dem Quartett auch an diesem Abend wieder, alten Zapf'nstreich-Klassikern wie den "Pictures of Cuba" neue Farben zu verleihen, wie das "Kretische Hochzeitslied" mit frischen Emotionen zu unterlegen oder wie dem "Balkantanz" seine mitreißende 9/8-Dramatik aufzufrischen. Auf der anderen Seite dringt das Quartett an diesem Abend zum Beispiel in ein Territorium vor, das Zapf bisher nur mit der Gitarristin Ingrid Westermeier bespielt hat: irischer Folk. Und siehe da, es gelingt überzeugend und so nahbar, dass man sich fragt, warum das erst jetzt passiert.

Man mag sich gegen den Eintopf-Begriff der "Weltmusik" sträuben. Aber so, wie sich dieses Ensemble der Weltsprache "Musik" annimmt und ihr einen eigenen Dialekt verpasst, bekommt sie eine verlockende Note: die Fantasie, dass man diesem Konzert gerade nicht in einem oberbayerischen Stadl lauscht, sondern in einer kasachischen Jurte oder einer mexikanischen Casita - und sich fühlt wie daheim.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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