Orte der Besinnung, SZ-Serie, Folge 6:Mutter Gottes auf Hausbesuch

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Das Frauentragen ist in Markt Schwaben eine liebgewordene Tradition in der Adventszeit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Statue der Heiligen Jungfrau Maria wird in Markt Schwaben von Tür zu Tür gereicht. Beim Frauentragen kommen Familien vor Kamin- und Kerzenschein zusammen, beten und musizieren

Von Sandra Langmann, Markt Schwaben

Der Duft von Weihrauch empfängt einen bereits an der Tür, noch bevor diese überhaupt geöffnet wird. Als ob er sich einen Weg nach Draußen bahnen möchte, um seinen Segen überallhin zu tragen. Oder um alle hinein zu locken - der magische Geruch, der einen ins Innere zieht. Denn dort ist es wohlig warm. Kaminfeuer und Kerzen brennen und leuchten. Sie dienen an diesem Dezemberabend als einzige Lichtquelle, verbreiten zusätzliche Wärme und sorgen für eine kuschelige Atmosphäre. Die Großfamilie Bauernschmidt-Port in Markt Schwaben macht beim Frauentragen mit. Nun hat sie sich um den riesigen Esstisch versammelt, auf dem eine Statue der Jungfrau Maria trohnt, die im Kreis der Familie für eine Nacht und einen Tag ein Zuhause gefunden hat.

Das Frauentragen sei ein südbayrischer Brauch, erklärt Johanna Innhofer, den sie für die Pfarrei St. Margaret in Markt Schwaben seit 2010 organisiert. In der Adventszeit, vom 26. November bis 23. Dezember, befindet sich die schwangere Jungfrau Maria in Form einer Statue auf Herbergssuche. Sie wird von Haus zu Haus getragen, um ihr für einen Tag oder auch nur für ein paar Stunden ein Zuhause zu geben. Zu Unrecht werde angenommen, dass der jahrhundertealte Volksbrauch aus Finnland komme, so Innhofer. Das werde gerne mit dem Wettkampfsport verwechselt, bei denen Männer mit ihren Frauen auf dem Rücken ins Ziel laufen müssen, schmunzelt die Organisatorin. Früher wurde nur das Bild der Maria weitergetragen, heute gibt es die Statue, die sich in einem kleine Holzkasten mit Glastüren befindet und von einem Haus zum nächsten wandert. Von Familie zu Familie, zu Kindergärten oder Seniorenheimen. Mit einer kleinen Andacht, Gebeten oder Musik soll die Madonna begrüßt und in den Alltag integriert werden, so der Wunsch von Johanna Innhofer.

Familie Bauernschmidt-Port hat sich das zu Herzen genommen und sich für den musikalischen Weg entschieden. Die Kinder spielen Saxofon, Klarinette und Querflöte und werden dabei vom Vater auf dem Tenorhorn und vom Onkel am Keyboard begleitet. "Little Drummer Boy", "Heidschi Bumbeidschi" und die gemütliche Atmosphäre tragen dazu bei, sich geborgen zu fühlen, sodass der eine oder andere sentimentale Gedanke nicht ausbleibt. Wie auf einem Altar, die Glastür weit geöffnet, hält die Jungfrau schützend die Hände auf ihren runden Bauch, in dem sich noch das Jesuskind befindet. Ihr zu Ehren wurde eine Kerze der Pfarrei angezündet, um Licht zu schenken. Ein Empfang, den man nicht nur ihr sondern auch anderen nur wünschen kann. Der Blick schweift zur Familie, die hier Glühwein trinkend und Plätzchen essend zusammensitzt. Die in gemütlicher Runde vor dem Kaminfeuer zusammengekommen ist, gemeinsam musizieren und beten kann. Im eigenen Zuhause, bei den Liebsten. Ein Traum, den die Familie Bauernschmidt-Port an diesem Abend lebt, der für viele andere aber in weite Ferne gerückt ist. Viele Menschen mussten ihre Heimat verlassen und befinden sich auf der Flucht. Sie klopfen an Türen, werden nicht aufgenommen, werden nicht angenommen. Die Weihnachtszeit als Zeit des Miteinanders, das scheint nicht für alle zu gelten.

Durch das Frauentragen werden sowohl die Türen als auch die Herzen für Christus geöffnet, ist Johanna Innhofer überzeugt. Auch wenn um Asyl angesucht werde, sei das nichts anderes, denn auch diese Menschen verdienen es, auf offene Herzen zu stoßen. Darum geht es auch im Gebet "Sich begegnen", das Annik Lorenzen vorträgt. Sie hat an diesem Abend die Madonna zur Familie Bauernschmidt-Port gebracht, und heißt die Statue gemeinsam mit ihnen Willkommen. Sie spricht mit leiser und ruhiger Stimme darüber, dass es wichtig sei, den anderen anzunehmen. Bis auf das Feuer, das im Kamin knistert und langsam die Äste verbrennt, ist es still geworden - die Blicke sind gesenkt. Die Gedanken gleiten zu Vorurteilen, die die Menschen gegenüber anderen haben, die in "unser" Land kommen. Ein Miteinander scheint oft so weit weg wie die fremde Heimat zu sein, aus derer diese Menschen zu uns kommen. Lorenzen erzählt zudem von der inneren Herbergssuche. Dass man nur jemanden annehmen könne, wenn man dazu bereit ist, sich selbst anzunehmen. Und so denkt man unweigerlich an verschlossene Herzen, an die Kälte, die draußen herrscht und die Menschen, die keine Möglichkeit haben, an so einem Ort wie diesem zu sitzen. In Gedanken bei der eigenen Familie, die sich meist noch in einem vom Krieg und Armut gebeutelten Land befindet, in Sorge um die eigene Existenz. An einem so besinnlichen Ort wie diesem, ist es schwer, sich das vorzustellen. Wo alle heiter sind, Plätzchen essen und Tee schlürfen. Darüber wacht die Statue der heiligen Maria Mutter Gottes, die sich am nächsten Tag erneut auf Herbergssuche begibt. Für diese Nacht aber hat sie ihren Platz gefunden.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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