Oberpframmern:Zeugen der Heilsgeschichte

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Die spätromanischen Wandmalereien in der Turmkapelle von St. Andreas in Oberpframmern sind ein Schatz. Die Kunststudentin Lisa Otto aus Dresden erarbeitet ein Konzept zur Erhaltung

Von Rita Baedeker, Oberpframmern

Ein wenig gleicht Lisa Otto mit ihren dunklen Locken und dem schmalen Gesicht einer Figur, wie Giotto di Bondone, ein Maler des 13. Jahrhunderts in Florenz, sie gemalt haben könnte. Die Studentin der Hochschule der Bildenden Künste Dresden untersucht derzeit den Erhaltungszustand der spätromanischen Wandmalereien in der "Turmkapelle" der Pfarrkirche St. Andreas in Oberpframmern. Sie steht auf einem Gerüst und kratzt vorsichtig an einer Farbschicht. Was da unter Ocker und Putz durchschimmert, ist zwar nicht von Giotto, ein Könner sei da aber schon am Werk gewesen, sagt sie. Die Darstellungen wurden überwiegend auf den trockenen Untergrund gemalt, sind also keine "Fresken", die man frisch auf noch feuchten Kalkputz aufträgt, und werden daher als "Wandmalereien" bezeichnet.

Es riecht nach Sakristei und dem Staub der Jahrhunderte. Die Analyse, die Otto im Auftrag der Gemeinde und der Erzdiözese München-Freising nach Oberpframmern geführt hat, ist Thema ihrer Diplomarbeit. Ihre Aufgabe, bei der sie von Klaus Pastusiak von der Kirchenverwaltung unterstützt wird, ist die Untersuchung der Darstellungen in Bezug auf Baugeschichte, Gestaltung, Farben, Bindemittel, Pigmente und Maltechnik - alles, was Auskunft gibt über den Zustand der Malereien, die zwischen 1250 und 1300 entstanden sind und zu den ältesten - nahezu unbehandelten - in Bayern gehören. Im Juni 2016 ist Abgabetermin der Arbeit. "Ich schaue, welche Kräfte auf die Malereien einwirken, zum Beispiel Klima, Feuchte, Salze, mikrobiologischer Befall. Dann überlege ich, welche konservatorischen Fragen sich ergeben", sagt Otto.

Vorsichtig kratzt die Kunststudentin Lisa Otto am Putz der Turmkapelle von St. Andreas in Oberpframmern. (Foto: Christian Endt)

Die kunsthistorische Betrachtung und Einordnung des Bildprogramms hat der Wasserburger Kunsthistoriker Gerald Dobler vorgenommen und im Auftrag des Kunstreferates des Ordinariats München ein Dossier erarbeitet. Es soll heuer im Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst veröffentlicht werden. Dobler hat Detailfotos gemacht und durch Umzeichnungen viele mit bloßem Auge kaum erkennbare Spuren herausgearbeitet. Dadurch konnten nicht nur unter Putz und Kalk verschwundene Figuren identifiziert werden, auch die zeitliche Ein- sowie die stilistische Zuordnung sind, wenn auch nicht in jedem Fall wasserfest, so doch einigermaßen sicher einzugrenzen. Von der überragenden Bedeutung der Malereien zeigt er sich überzeugt. Romanische Wandmalereien im südlichen Bayern, so Dobler, seien bis heute nur in einer Handvoll von Beispielen erhalten geblieben, zum Beispiel in der Torhalle der Klosterkirche Frauenchiemsee und in der Kirche von Keferloh.

Lange muss man den Kopf heben und die von Rot-Ocker und Schwarz überzogenen Wände absuchen, bis sich ein Gesamtbild ergibt, das überrascht. Der urkundlichen Überlieferung zufolge war Maria die Patronin der Vorgängerkirche, erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts übernahm Andreas die Patenschaft. In der Turmkapelle aber ist weit und breit keine Maria, ist kein Andreas zu sehen. Vielmehr beherrschen neben Jesus Christus die alttestamentarischen Autoritäten Moses, Melchisedech und Jesaja (zerstört) sowie die vier Evangelisten und wahrscheinlich Kain und Abel den Raum. Dobler vermutet, dass es sich bei dem Turm um den Chorraum des ehemaligen romanischen Baus handelt. Vielleicht sei der auch erst nachträglich über den rechteckigen Chor gesetzt worden.

Oft sind die Schäden, etwa Hackspuren in der Wand, beträchtlich und die Figuren können nur schwer zugeordnet werden. (Foto: Christian Endt)

Das Bildprogramm ist natürlich kein Zufall. Die heiligen Herren haben, wenn man so will, eine gemeinsame Mission: Moses, der als Baby in einem mit Pech bestrichenen Weidenkörbchen das Massaker des Pharaos überlebte, führte das Volk Israel aus der Gefangenschaft, am Berg Sinai erhielt er aus der Hand Gottes die zehn Gebote, er ist mithin Repräsentant des "Gesetzes" und der göttlichen Ordnung.

Diese vertritt auch der Hohepriester Melchisedek. Im Neuen Testament wird im Brief an die Hebräer Jesus Christus als Hohepriester "nach der Ordnung Melchisedeks" bezeichnet. Gemeint ist damit, dass das Sakrament der Eucharistie mit Brot und Wein und ohne Blut dargebracht werden soll, ein Hinweis auf die Erlösung durch Gnade. Jesaja schließlich ist in der Bibel der erste der vier großen Propheten. Er verheißt in diversen Andeutungen die Geburt und das Sterben des Messias. "Eine Jungfrau wird einen Sohn gebären" und: "aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten" (Jesaja, 53,4). Alle drei sind sie also wichtige Zeugen und Wegbereiter von Jesus Christus und der Heilsgeschichte. Gerald Dobler schreibt: "Im Zentrum der Malereien in Oberpframmern stehen die Herrlichkeit und die Macht Gottes und seiner Kirche und die Erlösung der Menschheit durch das Opfer Christi."

Folglich nehmen die Darstellungen von Christus den größten Raum ein. "Im Scheitel des Gewölbes erscheint er als Lamm, denn er selbst ist als ,unschuldiges Opferlamm' zur Erlösung unserer Sünden gestorben", sagt Lisa Otto. Die passende Bibelstelle steht im Evangelium des Johannes: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt". Das Lamm, so Otto, könne als Freudensymbol und zugleich als Mahnung verstanden werden, da es bereits auf das Ende aller Zeiten verweise: Jeder, der dem Lamm nachfolge, wird errettet werden. Auch die Darstellung von Christus als "Maiestas Domini" ("Herrlichkeit des Herrn", thronender Christus in einer Mandorla) verweise auf die Wiederkunft Christi am Tage des jüngsten Gerichts und seine nachfolgende Herrschaft. Die Zeugen der Heilsgeschichte sind nicht stumm, Wandmalereien waren Lesebuch, Trost und Illustration der Heiligen Schrift.

An der Haartracht, dem Bart und der Inschrift im Bogenfeld ist Moses klar zu erkennen. (Foto: Christian Endt)

Die Figur des Moses, mit wilden Zottelhaaren und langem Bart, in früheren Beschreibungen fälschlicherweise für Maria gehalten, ist durch eine Schrift im Bogen des Baldachins identifizierbar: "S. Moises" steht da. Auch Melchisedech ist benannt. Die Figur des Jesaja ist aufgrund des später vollzogenen Wand-Durchbruchs zum Turmobergeschoss vollständig zerstört, nur der Buchstabe "I" ist noch lesbar.

Besser ist die Situation bei den teilweise freigelegten Evangelistensymbolen in den Gewölbezwickeln: vom Löwen der Leib, vom Stier das linke Ohr und das linke Horn, vom Engel Arm, Hand und ein Stück des Flügels, und vom Adler Schwanz, Schnabel und - vielleicht - eine Kralle. Der Engel-Mensch steht für Matthäus, der Löwe für Markus, der Adler für Johannes und der Stier für Lukas. Der Ursprung der vier Tiere, so Otto, sei bei dem Propheten Hesekiel und im Buch der Offenbahrung zu finden und zwar in den Visionen zur Wiederkunft Christi. Dobler zufolge steht das Quartett auch für die "vier Weltgegenden und die Verbreitung der frohen Botschaft".

Die Inschriften-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat die Malereien auf einen Zeitraum "nicht vor Mitte des 13. Jahrhunderts" datiert. Die Experten erkannten klare "Zeichen einer Gotisierung"; andererseits seien die Malereien wohl auch nicht viel später entstanden. Wie Dobler schreibt, sind die Gestalten der Heiligen monumental ausgeführt, klar konturiert, ruhig, mit runden Formverläufen und nicht im Zackenstil, wie er um 1240 Mode gewesen sei. Am ehesten glichen die Malereien einem Mischstil aus malerischen und grafischen Elementen, wie er zu jener Zeit in der Buchmalerei üblich war. Es seien keine Kompositionslinien oder Vorritzungen erkennbar, die Malereien besäßen weitestgehend die ursprüngliche Oberfläche. Dies und andere stilistische Eigenheiten machen sie zu einem bedeutenden Kunstdenkmal.

Für Lisa Otto stellen sich im Zuge ihrer Untersuchung noch viele Fragen: Soll man die Malereien erhalten, wie sie sind, und das Erscheinungsbild nur etwas "beruhigen", wie sie sagt. Oder wäre es sogar möglich, noch weitere Teile freizulegen? Doch schon jetzt hat sie festgestellt, dass seit der letzten Konservierung in den Jahren 2013/14 neue Schäden an der Malschicht entstanden sind. Das Antlitz von Melchisedech, welches heute weiß ist, sah vor drei Jahren noch anders aus. Auch an anderen Stellen zeigen sich erste gravierende Verluste an der freigelegten Malschicht. Von den Klimauntersuchungen und Laboranalysen erhofft sie sich neue Erkenntnisse. Mit Hilfe von Fotos und Kartierungen dokumentiert sie den Zustand des Raumes: hohl liegende Bereiche, lockerer Putz, Salzausblühungen, mikrobieller Befall, Malschichtverluste. "Am Anfang dachte ich, was soll ich da nur neun Monate lang machen. Aber je mehr man schaut, desto mehr entdeckt man", sagt Otto. Fest steht für sie schon jetzt: "Die Malereien sind exzellent. Der Maler hat mit freier Hand gezeichnet und kaum Korrekturen gemacht, das war ein großer Könner!" Nun ist ihre Aufgabe die Entwicklung eines Konzeptes, mit dem die Malereien durch minimale Eingriffe auch für zukünftige Generationen erhalten werden können.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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