Neuer Lehrplan:Über-Stunden

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Für Kinder, die neben dem regulären Stoff auch noch Deutsch lernen müssen, wird der Schultag ein gutes Stück länger. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Ausländische Kinder in separaten Deutschklassen bekommen mehr Unterricht. Für Erstklässler bedeutet das einen langen Schultag mit strammem Pensum, auch Lehrer und Betreuer haben gut zu tun

Von Jonas Wengert, Ebersberg

"Die Masse an Stunden ist speziell für Erstklässler schon heftig", sagt Grundschulleiter Franz Kraxenberger aus Kirchseeon. Die Aussage bezieht sich auf das neue Unterrichtspensum für Schulkinder mit fehlenden Deutschkenntnissen. Im Juni gab die Staatskanzlei bekannt, dass diese zukünftig nicht mehr in Übergangsklassen, sondern in sogenannten Deutschklassen unterrichtet werden sollen. Zum Schuljahresbeginn drei Monate später waren die Planungen dann auch schon Wirklichkeit. Der separate Unterricht ist weiterhin auf bis zu zwei Jahre angedacht, die Mehrzahl an Stunden führt de facto zu Ganztagesunterricht. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler bringt die kurzfristige Einführung weitreichende Herausforderungen mit sich.

Zur Einordnung: Im regulären Betrieb hat eine erste Klasse laut Schulordnung 23 Gesamtwochenstunden. Bis zur vierten Klasse steigert sich diese Zahl auf 29. In Deutschklassen werden vielerorts Grundschüler von der ersten bis zur vierten Jahrgangsstufe zusammen unterrichtet. Deren Stundentafel wurde zu diesem Schuljahr um das Fach "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" sowie um den frei gestaltbaren Bereich "Sprach- und Lernpraxis" erweitert. Die Unterrichtszeit beläuft sich damit auf bis zu 39 Wochenstunden.

Monika Seidel ist Grundschulleiterin in Markt Schwaben. Auch sie bezeichnet diese Zahl für die Kinder als "enorm". Die Bildungseinrichtung der Gemeinde ist keine Ganztagsschule. Laut Vorgaben bleibt deshalb noch bis zum Halbjahr Zeit, die mit fünf bis acht Stunden bemessene Sprach- und Lernpraxis zu integrieren. Mehrmaliger Nachmittagsunterricht für die Deutschklasse ist jedoch programmiert. "Das ist vor allem ein Problem für Kinder, die nicht aus Markt Schwaben kommen", sagt Seidel. Busverbindungen in die Nachbarorte müssen organisiert werden und auch eine Mittagsbetreuung muss bereitstehen.

Was die inhaltliche Ausgestaltung der Stunden angeht, haben die Schulen freie Hand. Das Fach wird von externen Kooperationspartnern anstelle von Lehrkräften übernommen. Die Zeit solle "gezielt für den Erwerb der deutschen Sprache genutzt werden", erklärt Angela Sauter vom Schulamt Ebersberg. Das ließe sich im Bereich der Schule eher sicherstellen, als wenn man das privaten Händen überlassen würde. Eine Benotung findet nicht statt, der Rahmen für die Sprachpraxis solle ungezwungen gestaltet werden.

Seidel begrüßt den Ansatz. Knapp 40 Stunden Frontalunterricht für Grundschüler seien nicht angemessen. Vielmehr stellt sie sich vor, die Lernzeit mit Bewegung zu verbinden, beispielsweise bei einem Einkauf auf dem Wochenmarkt. "Die Kinder sollen die deutsche Sprache erleben", so Seidel. In Markt Schwaben wird die Diakonie Jugendhilfe Oberbayern die Betreuung der Sprach- und Lernpraxis übernehmen. "Wir helfen an dieser Stelle gerne aus der Patsche", sagt Robert Kirchberger, Geschäftsbereichsleiter für Jugendsozialarbeit. Personell stehe die Planung für den Start der Arbeit im Frühjahr 2019. Was genau in den Stunden passieren werde, müsse aufgrund des kurzfristigen Beschlusses erst noch ausgearbeitet werden.

Die vierstündige "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" ist bereits jetzt regulärer Teil des Stundenplans und muss von Lehrkräften abgedeckt werden. Viel konkreter sind die inhaltlichen Vorgaben jedoch nicht. Als Information erhielten die Grundschulen Dokumente mit Umsetzungsmöglichkeiten, etwa über Klassenregeln oder Stunden zur Essenskultur. Zudem wird auf andere Fächer wie Ethik und Heimat- und Sachkundeunterricht verwiesen. Einen eigenen Lehrplan im klassischen Sinne gibt es nicht. Auf Ministerialseite ist von "fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen" und einer "Querschnittaufgabe" die Rede.

In Kirchseeon werden drei Deutschklassen mit bis zu 16 Schülern unterrichtet. Da es sich bei der Grund- und Mittelschule um eine Ganztagseinrichtung handelt, werden bereits beide neuen Fächer in den Klassen abgehalten. Die Sprach- und Lernpraxis werde in spielerischer Form von einer Theaterpädagogin gestaltet, sagt Kraxenberger. Einerseits sei der große Spielraum für die Schule eine Chance, auf der anderen Seite "muss man aber eben auch gute externe Kräfte finden". Die zusätzlichen Stunden müssen kindgerecht abgehalten werden. "Bei uns läuft das so weit ganz gut", berichtet der Schulleiter. Er wünscht sich jedoch mehr Differenzierung. Für frisch eingeschulte Kinder gehe ein Stundenplan mit 31 fixen Unterrichtsstunden und zusätzlicher Sprachpraxis ein Stück an der Realität vorbei.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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