Neue Leiterin der Grafinger Stadtbücherei:Daten im Dienste der Buchstaben

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13 Jahre lang war die Grafingerin Ursula Schneider ehrenamtlich in der Stadtbücherei tätig. Nun hat sie ihren Computerjob an den Nagel gehängt und die Leitung übernommen. (Foto: Christian Endt)

Ursula Schneider weiß als IT-Spezialistin moderne Technologien zu nutzen, um den Lesetempel fit für die Zukunft zu machen

Von Anja Blum, Grafing

"So einen hohen Stresspegel hatte ich wirklich noch nie", sagt Ursula Schneider und lacht erleichtert auf. Denn erstens ist alles gut gegangen, und zweitens wird ihr das wohl nicht noch einmal passieren: Puppentheater war angesagt an diesem Nachmittag, und die neue Leiterin war alleine in der Grafinger Stadtbücherei, als völlig unerwartet unzählige Familien ins Haus strömten. "So voll war es noch nie!" Der Raum darf aber aus Brandschutzgründen nicht mehr als 110 Personen aufnehmen, also musste Schneider irgendwann die Schranke herunterlassen - sehr zum Leidwesen der Eltern, manche waren extra aus Oberpframmern gekommen. "Also wurde ich regelrecht beschimpft", erzählt Schneider. Wenig später jedoch kam es vor der Bücherei zu einem medizinischen Notfall, man holte den Mann herein, unter den First Respondern war der örtliche Feuerwehrchef. "Da war ich dann sehr froh, vorher nicht doch mehr Menschen reingelassen zu haben." Seitdem muss sich anmelden, wer zum Puppentheater will.

Diese Episode sagt viel aus über die neue Leiterin der Grafinger Stadtbücherei. Ursula Schneider schaut sich die Dinge erst einmal an, analysiert sie ganz genau, und wenn sie feststellt, dass etwas nicht gut läuft, handelt sie. "Ich bewirke eben gerne etwas", sagt sie. Veränderungen, nur um sich selbst zu verwirklichen, sind hingegen nicht ihre Sache. Ein "großes Erbe" tritt die 54-Jährige an in Grafings Lesetempel, was ihre Vorgängerin Brigitte Binder alles auf die Beine gestellt habe, sei "der Wahnsinn", sagt Schneider. Doch ist die Grafingerin selbstbewusst genug, die großen Fußstapfen nicht als Last zu empfinden, sondern als belastbare Basis, auf der es aufzubauen gilt. "Ich bin in vielen Dingen ganz anders", sagt sie - und meint damit vor allem: "digitalisierter".

Denn Ursula Schneider ist Quereinsteigerin: In der IT-Branche, bei SAP, hat sie bislang gearbeitet, in einem hoch spezialisierten Bereich, es ging darum, Daten aufzubereiten und auszuwerten, vor allem für das Controlling. Insofern passt es sehr gut, dass gerade in diesen Tagen in der Bücherei eine neue Software eingeführt wird, auf die sich Schneider schon sehr freut. "Ich hoffe, dass wir viele Abläufe vereinfachen und automatisieren können", sagt sie. Ein großer Vorteil werde zum Beispiel sein, dass Nutzer dann selbst online ihre Ausleihe verlängern und Medien vorbestellen können. Bislang geschah all dies per Mail, das heißt zeitverzögert für die Leser und mit zusätzlichem Aufwand für das Personal. Momentan hat die Bücherei wegen der Umstellung geschlossen, am Donnerstag, 16. Mai, bricht die neue Ära für alle an.

Um Information und Dokumentation ging es auch in Schneiders Medien- und Wirtschaftsstudiengang, einst ganz neu, heute schon wieder abgeschafft. "Damals gab es ja noch Karteikarten", sagt die 54-Jährige und lacht. Jedenfalls habe sie dabei vor allem gelernt, "wie man richtig recherchiert". In ihrem neuen Job möchte Schneider aber nicht nur vor dem Computer sitzen, sondern vor allem "richtige Büchereiarbeit" machen. Diese kennt sie schon lange, 13 Jahre war die Grafingerin ehrenamtlich in der Ausleihe tätig. "Weil ich Bücher liebe, das Spaß macht, und wir hier ein tolles Team sind. Mit Menschen zu arbeiten, vom Kind bis zum Senior, das gibt mir persönlich einfach was."

Nun kann sie dabei noch viel mehr Verantwortung übernehmen und ihr Engagement ausweiten. Das fange schon damit an, die passenden Bücher zu kaufen - 3000 neue Medien werden jährlich angeschafft - und die richtigen für den Flohmarkt auszusortieren. "Ausgeliehen werden vor allem Neuerscheinungen, aber es gibt viele Klassiker, die gehören meiner Meinung einfach dazu", sagt Schneider. "Der Herr der Ringe" etwa, oder der bayerische Autor Ludwig Thoma. "Ein schwieriger Balanceakt." Weiter geht es mit der Präsentation: In Grafing gibt es etliche Regale, in denen die Bücher nicht aneinander aufgereiht stehen, sondern einzeln, mit sichtbaren Covern. Für die neue Chefin sind diese wechselnden "Ausstellungen" zu verschiedenen Themen, mal zu Meditation, mal über Artenvielfalt, demnächst zur Europawahl, sehr wichtig, denn: "Was man sieht, wird auch ausgeliehen." Schließlich seien die Besucher oftmals schlicht überfordert von der Masse der Bücher. Besondern Menschen mit niedriger Lesekompetenz möchte Schneider gewinnen, mit ansprechender Lektüre für Schulanfänger etwa, oder mit Titeln in leichter Sprache. "Auch manchen Erwachsenen schrecken dicke Bücher und lange Sätze einfach ab", erklärt sie. Hinzu kommen Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Natur, vom Puppentheater über Vorlesestunden bis hin zum Stricktreff oder Jazzfrühstück.

Sehr am Herzen liegt Schneider aber auch, den Wandel der Gesellschaft widerzuspiegeln: Die Bücherei dürfe nicht nur Gedrucktes bieten, sondern auch Digitales, vom E-Book über Hörspiele bis hin zu Sprachkursen. Gerade ältere Menschen an diese Medien heranzuführen und dafür zu begeistern, "das ist toll!" Mit Blick auf die jüngere Generation steht Schneider dem Digitalen jedoch auch kritisch gegenüber: Das Internet erschwere es mit seiner Flut an Informationen, sich zurecht zu finden und vor allem zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. "Schüler sollen ihr Wissen daher nicht nur aus dem Netz ziehen, auch weil sie dort oft nicht kindgerecht aufbereitet ist. Eine Doktorarbeit taugt einfach nicht als Grundlage für ein Referat über Ägypten in der fünften Klasse." Ein Kurs, in dem Schüler lernen zu recherchieren, steht deswegen ganz weit oben auf der Wunschliste von Schneider, selbst Mutter zweier erwachsener Töchter.

Die literarischen Vorlieben der Büchereileiterin selbst sind breit gefächert: Sie mag Sachbücher genauso wie Romane, Biografien oder Reiseberichte, auch Herzschmerz darf es einmal sein. "Nur Thriller lese ich eher nicht, dafür bin ich zu zart besaitet." Wer jedoch erlebt, mit wie viel positiver, zupackender Energie sie über die Bücherei spricht, könnte daran durchaus leise Zweifel hegen.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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