Musik in der Kirche:Schaurig-schönes Wummerland

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In Fledermausmetamorphosen tanzen Bettina und Pamina Hermann durchs Kirchenschiff. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Geisterhafte und bezaubernde Momente prägen das Faschingskonzert in der Pfarrkirche Vaterstetten

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Wo sich der Glaube zuhause fühlt, da ist auch Raum für die Fantasie. Wenn also Beatrice Menz-Hermann im Kostüm einer barocken Hexenkönigin vom Ambo herab mit dem Zauberstab wedelt, dann braucht es kein Wunder, um die Vaterstettener Pfarrkirche in ein Spukschloss zu verwandeln, noch dazu am Faschingssonntag. Den restlichen Zauber überlässt die Organistin dann ganz der Musik, wie es seit geraumer Zeit Brauch ist beim jährlichen Faschingskonzert.

Wie groß die Verlockung ist, Krapfen gegen Kompositionen zu tauschen, zeigte einmal mehr der bis auf den letzten Platz besetzte Kirchenraum. Nur an der Kostümierung sollten die Besucher noch arbeiten, die - von überschaubaren Ausnahmen abgesehen (Ugg Boots mit Glitzer gelten nicht) - einer ungeschriebenen Altersgrenze "Kostüme nur unter zehn" folgen und ihren Frohsinn in Anoraks und Wintermäntel verpacken. Dabei hätte das Umfeld eines Dracula-Auftritts in der Kirche "Zum kostbaren Blut Christi" durchaus Potenzial für eine neue Dimension christlichen Humors gehabt.

Mit der Orgel-Toccata aus der Suite Gothique von Léon Boellmann, einer ikonischen Melodie, bekannt aus unzähligen Gruselfilmen, überwindet Menz-Hermann gleich zu Beginn das frühlingshafte Sonnenlicht, das durch die Kirchenfenster fällt, und erzeugt jenen schaurig-schönen Grundton, der ihr Konzertmotto prägt. Fast schon kokett im Anschlag, lockt sie ihre Zuhörer heraus aus der Alltagswelt, umgarnt sie mit spinnenfeinen Fäden und betört sie mit unterirdischem Grummeln. Das anschließende Prelude aus der Cello-Solosuite Nr.1 von Johann Sebastian Bach fügt eine weitere, fantasievolle Dimension hinzu. Denn es erklingt nicht auf der Orgel, sondern auf dem Marimbaphon, hingebungsvoll gespielt von Quirin Reichl. In seiner Rolle als "Drakulanto Luftikus" verleiht er dem Stück eine ungewöhnliche Note, da man sich als Zuhörer in Klangblasen versetzt fühlt, die aus dem Dunkel der Seele aufsteigend ihren Weg ins Licht suchen. Eine filmreife Idee, diese Melodie so zu transkribieren - und eine klangvollendete Performance des Solisten, die er im Duett mit der Orgel bei den Jazz-Titeln "Blue Bossa", "Chameleon" und "Cantaloupe Island" noch einmal ins Magisch-Düstere verfeinert. Als Zuhörer darf man rätseln, ob der Karneval da dem heiteren Vibrafon eine finstere Maske aufgesetzt hat, oder ob hier der wahre Charakter des Instruments entlarvt wird.

Einen anderen Akzent im schaurig-schönen Wummerland setzte Alexander Hermann am Synthesizer. Weißbezopft und schwarzlederbehandschuht erzeugte "Graf Karl Largo vom Felde" in die Tasten greifend Röhrengebrumm. Zweimal improvisierte er im Übergang zwischen Szenenbildern. Zuerst changierend zwischen der moll-möglichsten Interpretation der Toccata von Bach und einer Filmmusik zu "Wunder der Tiefsee", begleitet vom imaginären Kapitän Nemo, versunken vor sich hinorgelnd auf seiner schicksalhaften Mission. Dann mit sanftem Flügelschlag als Begleiter der Fledermaus-Metamorphosen, die Bettina und Pamina Hermann in anmutiger Eleganz durchs Kirchenschiff und über die Altartreppen tanzten. Ihr Ausdruck dabei alles andere als blutrünstig, sondern melancholisch-suchend nach der Schönheit und der Seele eines verkannten Lebewesens. Das Schaurige war nicht die Fledermaus, sondern der Gedanke an unsere unbegründete Angst vor ihr.

Den Himmel über dem Geisterschloss besetzte am Sonntag Camilla Bull mit funkelnden Sternen. Die Mezzosopranistin, nicht zum ersten Mal Gast beim Faschingskonzert, ließ zuerst als Romeo nichts anbrennen mit dem "Ascolta!" aus Bellinis Oper "I Capuleti e i Montecchi", um wenig später als Rosina in Rossinis "Barbier" ein "Una voce poco fa" mit brillanten Höhen so leidenschaftlich zu intonieren, dass vermutlich alle Geister im Haus zunächst ob dieses Wohlklangs erstarrten, um anschließend im gleißenden Licht der Töne dahinzuschmelzen. Genauso wie das Publikum, dessen Bravo-Rufe vom Eise andächtiger Konvention befreit zum ersten Mal durchs Gotteshaus schallten. Noch stärker tobte der Sturm des Applauses, als sich die Solisten mit Marimbaphon, Synthesizer und Stimme zum Jazz-Trio fanden. Nach "Summertime", "Somewhere over the rainbow" und "Satin doll" waren endgültig alle dunklen Schatten, Spinnweben und Spukgedanken gewichen und der Raum von lichter Heiterkeit durchflutet. Nach dem "Für dich soll's rote Roten regnen" zum Ausklang durchbrauste ein frühlingshafter Sturm von Applaus die Kirche und nicht wenige hielt es nicht länger auf den Sitzen; sie zollten den Interpreten stehend den wohlverdienten Beifall.

© SZ vom 05.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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