Moosach:Vivaldi auf der Oud

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Freude am Experiment: Drummer Rudolf Roth, Bratscher Ehab Abo Fakir, Abathar Kmash an der Oud und Multiinstrumentalist Ardhi Engl in Moosach. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Moosacher Meta Theater begeistert das deutsch-syrische Quartett "Aera" das Publikum mit einer originellen Wiedervereinigung von orientalischer und klassischer europäischer Musik

Von Anselm Schindler, Moosach

Es wäre nicht richtig, zu sagen, dass Aera verschiedene musikalische Welten zusammenbringt, denn die Spielarten traditioneller nahöstlicher und klassischer mitteleuropäischer Musik haben stets einer Welt angehört, haben sich immer schon gegenseitig beeinflusst. Im Sound von Aera, einem vor einigen Monaten gegründeten Quartett zweier syrischer und zweier deutscher Musiker, drückt sich nicht zuletzt diese gemeinsame Geschichte aus. Wenn die Musiker ein Stück von Vivaldi oder Bach mit der Bratsche und der Oud, dem persisch-arabischen Vorläufer der europäischen Laute, einleiten, dann ist die Symbiose perfekt.

Gespielt haben die vier Musiker bereits für den Rosenheimer Kunstverein, im kommenden Jahr sind auch Auftritte in München geplant. Am Sonntagabend gab Aera sein Debüt im Meta Theater in Moosach - dort passt das Ensemble auch hin, die Bühne ist für ihre originellen und innovativen kulturellen Experimente bekannt.

Es war der osmanische Sultan Abdülaziz, der dem berühmten Richard Wagner sein Opernhaus in Bayreuth finanzierte, die große Wertschätzung für Wagner ist auch in das musikalische Werk von Abdüaziz eingeflossen. Rudolf Roth, Percussionist der Gruppe, fügt dem Sound des Sultans eigene experimentelle Klänge hinzu. Mit den Rosshaaren eines Violinen-Bogens fährt er am Becken des Schlagzeuges entlang, seine Hände fliegen über das Schlagfell der Trommeln. Dann beginnt Abathar Kmash verhalten die Saiten der Oud klingen zu lassen, federleicht lässt Ehab Abo Fakir den Bogen über die Saiten seiner Bratsche gleiten. Als erstaunter Zuhörer rückt man auf dem Stuhl nach vorne, bis an die Kante der Sitzfläche, versucht, den Künstlern und ihren Instrumenten so nah zu kommen wie möglich - um zu begreifen, wie dieses sehr eigensinnige und verspielte Verschmelzen verschiedenster Klänge zustande kommt.

Man kneift die Augen zusammen, fokussiert die Finger von Ardhi Engl, sie gleiten ruckartig über den Metalldraht seines "Stangerlbasses". Dann merkt man, dass das, was da passiert, nicht mit den Augen zu begreifen ist, schließt sie und lässt sich zurück in den Stuhl fallen. Der "Stangerlbass" ist eines von Engls vielen selbst entworfenen Musikinstrumenten, es besteht aus einer langen Metallstange und einem daran aufgespannten Draht. Nach einem seiner Auftritte in München lernten sich der Multiinstrumentalist und die beiden syrischen Musiker Fakir und Kmash kennen. "Nach dem Auftritt kamen die beiden auf die Bühne und wir haben zusammen experimentiert", erinnert sich Engl. Dann holten die drei den Percussionisten Rudolf Roth mit ins Boot - ein Projekt war geboren. Ihre ersten Auftritte absolvierte die Combo unter dem Namen "Music is my homeland", doch kürzlich benannten sich die Künstler in Aera um - was sich aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen zusammensetzt.

Die "Heimat" im Titel hatte Kmash und Fakir zu große Schmerzen bereitet. Erst im Frühjahr kamen die beiden nach Deutschland. Im Gepäck hatten sie nur ihre Instrumente, ihre Heimat versinkt derweil im Krieg. Die Musik aber hat bisher noch jeden Krieg überdauert, um das zu belegen, braucht man nicht erst den palästinensisch-syrischer Pianisten Aeham Ahmad bemühen, der noch 2015 zwischen den Trümmern von Damaskus öffentlich Klavier spielte. Aera erbringt nicht zuletzt den Beweis dafür, dass sich die eine Kultur ohne die andere im Kreis drehen würde. Im Sound des Quartetts spiegelt sich nicht weniger als die Dialektik der Musikgeschichte.

Aera hebt die Gegensätzlichkeiten der verschiedenen Takte und Melodien auf, schafft eine Symbiose, fügt ihr aber sofort wieder neue Elemente hinzu. Grenzen scheint es dabei nicht zu geben: Während die Saiten der Oud erklingen, führt Roth einen Stocktanz auf, die Stäbe scheinen seine Finger zu umschlingen. Manche im Publikum schütteln den Kopf, jedoch nicht aus Ablehnung, sondern voller Verwunderung. Im Januar wird Aera eine erste CD veröffentlichen, wie Roth nach dem Auftritt erklärt. Was da wohl noch kommen mag?

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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