Nackt treten die beiden Schauspieler auf die fast leere Bühne. Sie lassen den Moment lange wirken, bleiben ungezwungen stehen. Lea Barletti lächelt, sie wirkt gelöst und entspannt. Werner Waas scheint reservierter. Als das Publikum über den ersten Überraschungsmoment hinaus ist, beginnen sie abwechselnd zu sprechen. Barletti auf Italienisch, Waas auf Deutsch, jeder in seiner Muttersprache.
Im Moosacher Meta Theater haben die beiden Schauspieler am Samstagabend ihre Inszenierung von Peter Handkes Frühwerk "Selbstbezichtigung" auf die Bühne gebracht. Das Werk ist als "Sprechstück" konzipiert und begleitet die Protagonisten von der Geburt über ihre gesellschaftliche Menschwerdung hin bis zum wiederholten Verstoß gegen rechtliche und gesellschaftliche Normen. Diese Verstöße beichten die Sprecher nun vor Publikum. Das Werk bildet ein Gegenstück zu Handkes bekannterer "Publikumsbeschimpfung".
"Ich wurde geboren", so beginnt das Stück. Fast naiv schildern die Sprecher ihre schrittweise körperliche Entwicklung. Doch die endet abrupt mit der geistigen. "Ich bin zu Bewusstsein gekommen", damit beginnt die gesellschaftliche Identitätsfindung. Es folgt eine Zäsur. Zur melancholischen Tonmischung des im Off sitzenden Musikers Harald Wissler kleiden sich die Schauspieler an. Über Lautsprecher ist Waas' Stimme zu hören, teilnahmslos sitzen die beiden, die nun zum Zeichen ihrer gesellschaftlichen Anpassung förmliche Kleidung tragen, da. Barletti raucht, Waas isst einen Apfel- Symbol der Erkenntnis - und für den Apfelliebhaber Handke.
Das Spiel kommt in Fahrt, Barletti und Waas haben Mikrofone und bekennen ihre "Sünden". Stellenweise wirken die Bekenntnisse absurd und komisch: "Ich habe gesprochen, ohne gefragt worden zu sein. Ich habe Soldaten im Dienst angesprochen. Ich habe während der Fahrt mit dem Fahrer gesprochen".
Die zweisprachige Inszenierung des Stücks verfremdet die Texterfahrung. Wenn Barletti spricht, ist man gezwungen, auf die projizierte deutsche Übersetzung im Hintergrund zu achten. Gleichzeitig möchte man aber auch ihrer intensiven Sprechweise folgen. Sie spielt mit den Untertiteln, schaut ab und zu nach hinten. Der Zuschauer kann sich ihrem Spiel nicht entziehen; so muss er versuchen, den Sinn des Gesagten aus Sprechweise und Gestik zu entnehmen und nur sporadisch, als Rückversicherung, auf den Text zu schielen. Durch die doppelte Erfahrung von übersetztem und gesprochenem Text ist der Zuschauer gezwungen, sich eindringlicher mit dessen Sinn zu befassen.
Waas' anfängliche Reserviertheit verändert sich im Laufe des Stücks, das er auf einmal dominiert. Während er spricht, gestikuliert er wild, hüpft auf der Stelle, wandert bald tiefsinnig über die Bühne, hält inne und setzt sich ins Publikum, das er durch das Stück führt. Er wirkt mal aufgebracht, mal belehrend, dann wieder rechtfertigend.
Lea Barletti und Werner Waas sind seit 15 Jahren ein Paar und arbeiten als "Compagnia Waas Barletti" zusammen an verschiedenen Produktionen. Mit der Inszenierung sind sie in den letzten Jahren schon auf einigen Theaterfestivals in Deutschland und Italien aufgetreten. Die private Vertrautheit ist auf der Bühne zu spüren und in die Interaktion zwischen den Beiden eingebunden, jeder reagiert sensibel auf den anderen. Barletti lacht an besonders absurden Stellen laut auf.
Die Schauspieler schaffen es von Anfang an, Spannung zu schaffen, die bis zum Ende anhält. Schuldig geworden, stehen sie vor dem Publikum. Sie tragen Kleidung, stehen aber doch entblößt da, so wie am Anfang. Als das Licht ausgeht, läuft der Text im Schnelldurchlauf noch mal durch. Er wird die Zuschauer so schnell nicht loslassen.