Mitten in Grafing:Im Fegefeuer des Fahrplans

Auf der Linie S6 kann man seine Abneigung gegen das Bahnfahren trefflich pflegen. Doch bisweilen überrascht die S-Bahn auch - und ausnahmsweise nicht einmal unangenehm

Kolumne von Korbinian Eisenberger

Man nehme eine Person, die eine gewisse Abneigung gegen das Zugfahren hat - warum auch immer - und lasse sie eine Woche lang zwischen München und Ebersberg mit der S-Bahn pendeln. Sicherlich wird diese Person danach keine gewisse Abneigung gegen Züge mehr empfinden. Sie wird ein Gefühl zwischen tiefer Verzweiflung und einer akuten Zerstörungswut spüren - und sich nie wieder in einen Zug setzen.

Diese Analyse mag überzogen sein, vielleicht aber nicht allzu sehr. Hielt sich das Fahrvergnügen auf der S-Bahn-Linie 6 im abgelaufenen Jahr 2018 doch maßlos in Grenzen. All diese Bahnfahrten, die nach Ebersberg hätten führen sollen und dann so jäh im eingleisigen Nirwana endeten. Am Ende der zweigleisigen Gezeiten, im Niemandsland, dem Fahrplan-Fegefeuer: diesem Ort namens Grafing-Bahnhof.

Und nun das: Wegen des "starken Schneefalls" würden "Verspätungen und Ausfälle" drohen, hieß es dieser Tage von der Bahn. Und so kehren sich die Dinge um: Mit Beginn des neuen Jahres fährt die S 6 prompt bis nach Ebersberg durch, pünktlich und verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Das Dasein auf dieser Pendlerstrecke war in der ersten Jahreswoche eine wahre Freude. Zwar werden dort auch wieder andere Gefühle aufkommen, auf dieser so verlässlich teuflischen Strecke. Nun aber steht in Grafing-Bahnhof ein neuer Kiosk. Der wird helfen, beim harten Gang durchs Fahrplan-Fegefeuer.

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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