Mitten in Grafing:Alles nur geträumt

Auf dem Weg zur Arbeit darf man im Zug seinen Gedanken nachhängen - aber bitte nur, wenn man nicht der Lokführer ist und deshalb den nächsten Halt fast verpasst

Von Antonia Heil

Bahnfahren regt zum Träumen an. Das sanfte Anfahren, das gleichmäßige Rattern der Räder, das gemütliche Schaukeln in den Kurven. Man lässt sich gerne einlullen, morgens auf dem Weg zur Arbeit. Die Gedanken schweifen, und die Sehnsucht nach dem warmen Bett schwindet immer mehr, hat man es doch in den Polstern des Zugsessels fast genauso gemütlich. Ist man dann gerade gedanklich auf Weltreise, kann es durchaus passieren, dass man Dinge um sich herum übersieht. Den Bekannten, der in das gleiche Zugabteil einsteigt. Die Ticketkontrolleurin, die die Fahrscheine verlangt. Alles halb so wild, wenn es dringend ist, werden die einen schon aus den Träumen reißen.

Blöd ist nur, wenn der Zugführer träumt. Und dabei den Halt am nächsten Bahnhof verschläft. So geschehen am Dienstagmorgen in Grafing-Bahnhof - oder besser gesagt: ein klitzekleines bisschen nach Grafing-Bahnhof. Denn den hätte der Lokführer eines Meridians um Haaresbreite verpasst. Der Stopp gelingt nur noch mit einer beherzten Vollbremsung. Über die hinterste Zugtür gelangt man gerade noch so auf den letzten Ausläufer des Bahnsteigs. Wer vorne sitzt, hat Pech gehabt und muss einmal quer durch alle Abteile hechten, um noch aus dem Zug zu kommen, bevor es schon weiter Richtung München geht.

Ungeklärt bleibt deshalb, welchen Gedanken der Lokführer nachhing. Vielleicht hat er ja davon geträumt, endlich einen ICE steuern zu dürfen. Dann hätte er in Grafing-Bahnhof tatsächlich nicht halten müssen.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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