Premiere in Moosach:Kampfeslust und Traumata

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Auch das Meta Theater in Moosach geht erstmals online: Die Lesung des Dramas "Desdemona" von Simon Werle via Bildschirm ist zunächst gewöhnungsbedürftig, entfaltet dann aber doch Sogwirkung

Von Peter Kees

Man war gebeten, sich am Sonntag zwischen 18.40 und 19 Uhr bei Zoom einzuloggen, um an der ersten öffentlichen Onlinelesung teilzunehmen, die das Meta Theater nun veranstaltet hat. Einen "Nacheinlass" werde es nicht geben, hieß es. Es ist 18.46 Uhr. "Bitte warten, der Meeting-Moderator lässt Sie in Kürze eintreten", steht auf dem Bildschirm. Um 18.52 Uhr noch immer das selbe Bild. Technikversagen? 18.53 Uhr: Axel Tangerding erscheint, live aus seinem Moosacher Theater. "Herzlich Willkommen zum virtuellen Einlass." Man sieht alle Zuschauer, unter den Köpfen sind auch die Namen zu lesen. Fünf nach Sieben geht es los. Die Gäste werden stumm geschalten, ihre Bilder verschwinden. Übrig bleiben die Konterfeis der Darsteller: Franziska Ball als Desdemona, Petra Michelle Nérette als Emilia, Martin Pfisterer als Othello, Leon Sandner als Jago und Markus Beisl als Cassio. Gelesen wird Simon Werles "Desdemona", ein Text, der Shakespeares "Othello" verdichtetet. Eigentlich sollte die szenische Lesung im Meta Theater vor Publikum stattfinden. Doch die Corona-Krise machte dies unmöglich. Man entschloss sich deshalb, die Lesung online zu streamen, die Uraufführung selbst wurde auf Oktober verschoben. Und nein, die Schauspieler und Schauspielerinnen werden nicht aus dem Meta Theater heraus übertragen - jeder sitzt bei sich zu Hause.

Alles anders: Anstatt auf der Bühne des Moosacher Meta Theaters sitzen die Schauspieler bei sich daheim vor dem Bildschirm. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein wenig zäh wirkt der Anfang. Man sieht Talking Heads wie es wohl viele derzeit aus Onlinekonferenzen kennen, nur dass man eben nicht mitsprechen kann. Die Bildqualität ist mäßig. Die Darsteller wirken optisch eher privat. Othello sitzt vor schwarzem Hintergrund, in der Brille des Schauspielers spiegelt sich sein Monitor. Desdemona agiert aus einem eher helleren Zimmer heraus, vor einem Vorhang, der die Abendsonne abhalten soll. Man muss sich gewöhnen an diese Art der Theatervorstellung: Die Figuren bleiben zweidimensional, vor allem schauen sie einem immer direkt ins Gesicht - und nicht in das ihres Spielpartners. In den ersten Minuten wünscht man sich also, Tangerding hätte das Stück lieber als reines Hörspiel umgesetzt, schon weil ein Bildschirm assoziativ besetzt ist von den mit allen erdenklichen Raffinessen versehenen Filmmöglichkeiten. Und Talking Heads kann man - aufgrund unzähliger Videoinstallationen - längst nicht mehr sehen.

Zur Aufführung kommt das neue Drama "Desdemona" des Autors Simon Werle. (Foto: Robert Haas)

Doch es kommt anders: Am Ende ist man fasziniert. Der Stream entwickelt in seinem Verlauf einen richtigen Sog. Von Szene zu Szene steigern sich die Schauspieler, ihre Figuren nimmt man ihnen zusehends mehr ab, auch wenn sie die kompletten 110 Minuten ausschließlich Aug' in Aug' mit dem Zuschauer verharren. Man vergisst es. Ob nun auch sie Anfangsschwierigkeiten hatten, oder man selbst im eigenen Zuhause abgelenkt war?

Werles Drama - der Autor ist übrigens für Übersetzungen aus dem Französischen bekannt - ist dialogisch angelegt. Sprachgewaltig erzählt es die Geschichte vor Othellos und Desdemonas Hochzeit. Weil der Krieger von Kampfeslust zerstört ist und deshalb einem Schmerzenswahn unterliegt, will er Eifersucht spüren, will Narben auf seiner Seele erhalten, als Schutz vor Verwundung. Er fordert Desdemona deshalb auf, ihn zu betrügen. Die weigert sich, zerschneidet aber das Hochzeitsgeschenk, ein Tuch von Othellos Mutter. Am Ende sind sie beide tot. Der Text ist dicht, fesselnd und arbeitet verschiedene Traumata ab: Desdemonas Kindheitsprägungen durch ihre kranke Mutter, Othellos Vergangenheit als Kindersoldat oder Emilias Trauma der Genitalverstümmelung, die sie als muslimisches Mädchen in Nordafrika erlitten hat. Macht und Gewalt werden thematisiert. Nein, die knapp zwei Stunden sind nicht zu lang.

Die Gesamtleitung liegt in den Händen von Axel Tangerding. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und das Publikum? 40 Zuschauer gab es, nicht nur Leute aus dem Landkreis, sondern auch aus Berlin, Hamburg oder Texas. Das ist der Vorteil der notgedrungenen Onlinelösung: Die Reichweite ist größer. Das Feedback der Zuschauer jedenfalls fällt positiv aus, auch wenn einige in ihren Mails den Gewöhnungsbedarf, sich auf das Bildschirmformat einzulassen, ansprechen. Das gilt gleichermaßen für Zuschauer wie Darsteller.

Man kann sich nur wünschen, Werles "Desdemona" bald ganz analog im Meta Theater erleben zu können. So überzeugend die Darsteller auch waren, sie wirklich live, dreidimensional, miteinander agierend in der Atmosphäre eines Theaters erleben zu können, bringt einfach nochmal Dimensionen hinzu. Sonst bleibt es wie bei nächtlichen Zugfahrten im Fernsehen: Irgendwo an kommt man nicht.

Tangerding hat bereits einen Antrag mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen und einer Beschränkung der Zuschauerzahl eingereicht, doch der wird vor Ende Juni erst gar nicht bearbeitet, wie ihm gesagt wurde. Bis also das Haus wieder betreten werden darf, setzt er auf Freiluftformate: Am 27. Juni etwa soll es eine theatrale Wanderung durch Glonn geben und am 11. Juli eine Lesung mit dem Othello-Darsteller Martin Pfisterer im Garten des Theaters.

© SZ vom 12.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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