Markt Schwaben:Sei doch cool, Korbi

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Die beiden Ebersberger Andreas Schantz (links) und Christian Schmidt wollen Kinder und Jugendliche für das Thema Mobbing sensibilisieren. (Foto: Christian Endt)

Das Ebersberger Theaterensemble "Octopus" spielt an der Mittelschule Markt Schwaben ein Stück über Mobbing und bietet damit reichlich Diskussionsstoff

Von Mariel Müller, Markt Schwaben

"Mobbing ist, wenn man jemanden schubst und beleidigt." "Wenn man in einer Gruppe auf einen losgeht und ihn provoziert." "Wenn man Sachen von jemandem herumwirft." - "Ja, so wie du es oft mit Tims* Sachen machst." - "Nein, das ist immer nur Spaß, und das weiß er auch - stimmt's Tim?" Die Schüler der Klasse 6 b an der Mittelschule Markt Schwaben diskutieren über Mobbing. Sie hören sich gegenseitig aufmerksam zu, das Thema lässt keinen kalt.

Anlass ist das zuvor von der Ebersberger Theatergruppe Octopus aufgeführte Stück "Zwischen den Stühlen", das von der Ausgrenzung handelt, die ein Schüler von zwei seiner Klassenkameraden erleiden muss. Korbi, verkörpert von einer Puppe, ist das hilflos-stumme Opfer, das von seinem ehemals besten Freund Kurti, gespielt von Andreas Schantz, und dem coolen Nick, gespielt von Christian Schmidt, drangsaliert wird.

Zu Beginn sind noch harmonische Szenen von einer innigen Freundschaft zwischen Korbi und Kurti zu sehen. Letzterer geht liebevoll und sorgsam mit Korbi um. Doch dann taucht Nick, der Neue in der Klasse, auf, der Kurti mit seinen Jonglierkünsten begeistert und ihn als Freund gewinnen will. Gleichzeitig grenzt er seinen Kontrahenten Korbi gezielt aus, der als Puppe beim Jonglieren eh außen vor bleibt. Kurti distanziert sich mit der Zeit von Korbi, imitiert Nicks "cooles" Verhalten: Die neuen besten Freunde kommen häufig zu spät zum Unterricht, der Lehrer schimpft, Nick kassiert dafür zu Hause vom Vater Ohrfeigen. Anfangs versucht Kurti noch halbherzig, seinen alten Freund miteinzubeziehen: "Sei doch cool, Korbi." Aber Nick macht Korbi unter Schlägen unmissverständlich klar: "Kurti ist jetzt mein Freund!" Höhepunkt: Nick und Kurti schleudern Korbi, die Puppe, wie einen Jonglierball durch die Luft, er landet mit zusammengeknoteten Armen und Beinen in der Ecke. Nick will mit Kurti wegrennen, doch der kann sich nicht entscheiden: Helfen oder Abhauen? Er befindet sich "zwischen den Stühlen".

In der anschließenden Diskussion mit den Schauspielern Andreas Schantz und Christian Schmidt wird deutlich, dass es für viele der Schüler nicht ganz ersichtlich war, wer am Ende des Stücks nun das Opfer ist. Korbi? Oder doch Nick, der ja zu Hause geschlagen wird? Und ist Korbi überhaupt ein Mensch oder doch nur eine Puppe? "Das ist eigentlich nicht wichtig, wichtig ist die Beziehung, die Kurti und Korbi zueinander hatten", lautet die Antwort des Kurti-Darstellers Schantz, der auch der Leiter des Ensembles ist. Manche Schüler sagen aber auch, sie hätten gar kein Mobbing erkennen können. "Genau darauf wollen wir aufmerksam machen", sagt Schantz. "Mobbing wird oft nicht als solches wahrgenommen. Wir wollen das Bewusstsein bei den Schülern dafür schärfen." Seit einem Jahr führt Octopus das Stück schon an Schulen auf. Doppelt so lange hat das Ensemble am Konzept gesessen. Das offene Ende soll die Schüler zum Nachdenken anregen. "Wir wollten nicht mit einem erhobenen Zeigefinger rausgehen." Wichtig sei vielmehr, dass die Kinder darüber nachdenken, warum jemand überhaupt zum Täter oder zum Opfer wird. "Niemand schlägt andere freiwillig", sagt Christian Schmidt, der in seiner Arbeit als Therapeut oft mit Mobbingfällen konfrontiert ist. "Sogar der Vater hat einen Grund, warum er seinen Sohn schlägt."

Opfer von Mobbing ziehen sich meist zurück, isolieren sich von der Gruppe, können sich in der Schule nicht konzentrieren und werden krank, erzählt Schmidt. So weit gehen die Darsteller in "Zwischen den Stühlen" nicht. Der hilflose Korbi sei ein leichtes Opfer, weil er still halte und sich keine Hilfe suche. Diese muss vom Lehrer, den Eltern, der Polizei und auch den Mitschülern kommen. "Sorgt dafür, dass Unrecht nicht passiert - wenn ihr nur zuschaut, seid ihr Teil des Ganzen", appelliert Andreas Schantz an die Sechstklässler. Zugeschaut habe Kurti im Stück ja auch, bevor er selbst zum Mittäter wurde. "Zum Mobbing gehören mindestens drei", so Nick-Darsteller Christian Schmidt. Ohne Mitläufer - kein Mobbing.

Eva Guerin , Lehrerin an der Mittelschule Markt Schwaben, hat im vergangenen Jahr mit einer Schulklasse ein Theaterstück über das gleiche Thema auf die Bühne gebracht. Bei den Vorbereitungen sei herausgekommen, dass sich zwei der Schüler im Schulalltag von ihren Mitschülern gemobbt fühlten. "Die betroffenen Schüler hatten ein richtiges Coming Out, sie sind regelrecht zusammengebrochen", erzählt Guerin. Sie hätten in der Folge die Proben immer wieder unterbrechen müssen, um offen über das Thema zu reden, so die Lehrerin. Subtile Ausgrenzung, auch außerhalb des Klassenzimmers, hätte das Fass zum Überlaufen gebracht. "Ich hätte das nicht gedacht, ich hatte nichts davon mitbekommen", gesteht Guerin. Auch deswegen habe sie sich aktiv dafür eingesetzt, die Theatergruppe Octopus mit ihrem Anti-Mobbing-Programm an die Schule zu holen. Das Theaterstück der Schüler vergangenes Jahr wurde am Ende auch aufgeführt, sagt die Lehrerin. "Das war ein riesen Erfolgserlebnis für die Schüler. Für alle Schüler."

*Name von der Redaktion geändert

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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