Markt Schwaben:Mit viel Mut und großem Herzen

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Marga Kappl hat das Stück über Marie Juchacz geschrieben, das die Gruppe Futura in der Theaterhalle Markt Schwaben aufführte. (Foto: Christian Endt)

Mit dem Stück "Marie Juchacz - wer?" erinnert der Theaterverein an die Gründerin der AWO

Von Michaela Pelz, Markt Schwaben

"Meine Herren und Damen!", so beginnt die flammende Rede von Sabrina McAboy. Gestört wird sie von Zwischenrufen und männlichem Hohngelächter. Mit großer Passion spielt die 17-Jährige im Markt Schwabener Theater am Burgerfeld die SPD-Politikerin Marie Juchacz und nimmt die Zuschauer mit in die Weimarer Nationalversammlung, wo am 19. Februar 1919 erstmalig eine Abgeordnete das Wort ergriff. Die sich nicht etwa artig bei der Regierung für das neue aktive und passive Wahlrecht bedankte, sondern es als Selbstverständlichkeit bezeichnete: "Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht verweigert wurde."

Diese Worte hat Autorin und Regisseurin Marga Kappl nicht erfunden, sondern bei ihren Recherchen über Marie Juchacz (1879-1956) zutage gefördert. Juchacz gründete am 13. Dezember 1919 die Arbeiterwohlfahrt, die 2019 hundertjähriges Bestehen feiert. Was man allerdings nicht mit Reden und Musik begehen wollte, sondern mit einer "außergewöhnlichen Würdigung für eine außergewöhnliche Frau", wie Georg Hohmann in seiner Funktion als stellvertretender Kreisvorsitzender der AWO erklärte.

Und so war Marga Kappl mit dem Schreiben eines Stücks beauftragt worden. Die frühere Geschichtslehrerin und Säule des Markt Schwabener Theatervereins erinnert sich, bei der Nennung des Namens als erstes gefragt zu haben: "Marie ... wer?" - daher auch der Titel -, nur um schnell festzustellen, dass es hier um eine "tolle, starke Frau" geht, mit der sich zu beschäftigen durchaus lohnt. Zu dieser Erkenntnis kommen auch die Jugendlichen, die in der Rahmenhandlung des 75-minütigen Stücks ihre Rolle spielen. Patrick (Max Wagner, der im Verlauf auch den Erzähler gibt), hat zunächst gar keine Lust, ein Referat über diese - eine schnelle Stichprobe im Publikum bestätigt es - fast allen Anwesenden unbekannte Person zu verfassen. Was er dann aber über ihren Lebensweg herausfindet, jeweils eingeleitet durch einen im Hintergrund eingeblendeten Satz, interessiert sogar seine Freunde, jugendlich unbekümmert gespielt von Antonia Buchenrieder, Mark Zeiff, Jakob Funk und Andrea Studt.

Schon als 14-Jährige muss Marie als Schicht- und Akkordarbeiterin Geld verdienen. Eisern spart sie für eine Ausbildung als Näherin, heiratet ihren Chef, lässt sich aber drei Jahre später wieder scheiden und geht mit ihren beiden kleinen Kindern nach Berlin. Begleitet wird die unkonventionelle junge Frau von ihrer Schwester Elisabeth (sehr einfühlsam: Tabea Czapek), die ihr im Alltag den Rücken freihält und sie, ebenso wie Bruder Otto (überzeugend: Thomas Steinbrunner), in ihren politischen Idealen bestärkt.

In kurzen Spielszenen wird nun die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg lebendig. Und das nicht nur mittels historischer Kostüme, sondern auch durch musikalische Umrahmung. Stets tonsicher entführt Antonia Buchenrieder die Zuhörer mit einem ausdrucksvollen "Mariechen saß weinend im Garten" in die Trostlosigkeit Berliner Hinterhöfe. Kess und fröhlich gibt sie sich später bei "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen". Zunächst aber erfahren die Menschen im Saal von Maries Kampf für Arbeit und Freiheit, ihrem Aufstieg in der SPD sowie der AWO-Gründung, ausgelöst durch die im und nach dem ersten Weltkrieg erlebte Not unter Witwen und Waisen. Zur "solidarischen Selbsthilfe" will die Politikerin anregen, nicht nur Volksküchen und Wärmehallen schaffen, sondern auch Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Krankenpfleger.

Chansonnière Elke Deuringer erinnert, am Klavier begleitet von Christian Kappl, mit "Mackie Messer" an die "Goldenen Zwanziger", lässt mit "Lili Marleen" Soldatensehnsüchte aufleben. Da hat Marie Juchacz schon diverse Schicksalsschläge erlebt, sich öffentlich gegen Hitler ausgesprochen und ist aus Deutschland geflohen. "Es ist kein lustiger Stoff, darum konnte ich es nicht lustig machen", sagt Marga Kappl. Doch ist ihr immer wieder eine heitere Note gelungen - etwa mit Hilfe von Albert Hones. Als der Zylinderträger mit sonorer Stimme seine Hymne auf die Beine der Elisabeth anstimmt, wippt auch Albert Hingerl begeistert mit. Später wird der Poinger Bürgermeister seinem Wunsch Ausdruck verleihen, das Stück ginge auf Tournee, zeige es doch, "wie wichtig es ist, uneigennützig zu helfen". Das nämlich tut Marie auch nach ihrer Flucht in die USA 1941. Dort gründet sie zur Unterstützung der Opfer des Nationalsozialismus ebenfalls eine AWO, bevor sie 1949 nach Deutschland zurückkehrt, wo sie 1956 stirbt.

All das hat Robert Niedergesäß nicht gewusst, wie er zugibt. Der Ebersberger Landrat zeigt sich begeistert von der tollen Inszenierung und der Art und Weise, wie hier Geschichte lebendig gemacht werde. Diesem Urteil muss man sich uneingeschränkt anschließen.

Ein Filmmitschnitt der Premiere von "Marie Juchacz - wer?" kann von interessierten Einrichtungen unter makappl@aol.com angefordert werden.

© SZ vom 21.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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