Markt Schwaben:Die klassische Rollenverteilung aufbrechen

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Ob den Kindern die Hausaufgaben wohl auch so viel Freude bereiten wie Patrick Müller? Der liebt es, die Fortschritte seiner Schützlinge zu beobachten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Patrick Müller arbeitet in einem Hort. Der 26-Jährige findet fast nur Positives an seinem Job - gerade als Mann

Von Friederike Hunke, Markt Schwaben

Im Arbeitsumfeld der Beliebteste sein, auf jede Bewerbung eine Zusage bekommen, zum Wohl junger Menschen beitragen - das klingt nach idealen Arbeitsbedingungen. Wenn Patrick Müller von seiner Arbeit schwärmt, entsteht tatsächlich der Eindruck, dass ein Erzieher das große Los gezogen hat. Doch der 26-Jährige, der im Hort des Awo-Kinderhauses "Villa Drachenstein" in Markt Schwaben beschäftigt ist, weiß auch von den Schwierigkeiten, die insbesondere Männern in diesem Beruf begegnen.

"Für mich ist es das Wichtigste, dass die Kinder sich hier wohlfühlen", beschreibt Müller sein tägliches Ziel. Zur Zeit betreut er gemeinsam mit seinen Kolleginnen 54 Schulkinder zwischen sechs und elf Jahren. Sein Arbeitsalltag beginnt um neun Uhr morgens mit zwei Stunden Vorbereitungszeit für Eltern- und Lehrergespräche. Zum Mittagessen trudeln nach und nach die Kinder aus der Schule ein. Patrick Müllers Lieblingsbeschäftigung sind die anschließenden betreuten Hausaufgaben, weil er dort am besten sehen könne, wie die Kinder sich weiterentwickeln. "Ich genieße es natürlich auch, mich einfach mal hinzusetzen und eine halbe Stunde ein Spiel zu spielen", fügt er hinzu. Dafür sei die Zeit für ihn allerdings meistens zu knapp. Seine Schützlinge dagegen dürfen nach den Hausaufgaben und einer kleinen Brotzeit bis 17 Uhr gemeinsam mit den etwa 50 Kindergartenkindern in der Villa Drachenstein herumtoben.

Seinen Traumjob fand Müller eher zufällig, als er seinen Zivildienst in einer heilpädagogischen Tagesstätte leistete. "Meine Mutter ist auch Erzieherin, und man will ja nie das machen, was die Eltern machen", scherzt der aus Memmingen stammende Mann. Doch die Arbeit gefiel ihm so gut, dass er eine Erzieherausbildung in Kempten im Allgäu begann, die er 2012 abgeschlossen hat. Während der vier Ausbildungsjahre entdeckte Müller den Hort als Arbeitsbereich für sich. Hier könne er mit den Kindern fast wie mit Erwachsenen reden und ihnen auf Augenhöhe begegnen, was er "wahnsinnig spannend" findet. Der Job gebe ihm viel, erzählt er. "Selbst, wenn ich mal mit schlechter Laune reinkomme, dauert es keine fünf Minuten mit den Kindern, und dann ist alles anders."

Als einer von 52 männlichen pädagogischen Mitarbeitern in Kindertageseinrichtungen im Landkreis Ebersberg - gegenüber 1018 Frauen - braucht Müller ein gewisses Selbstbewusstsein. Nur so könne man mit den Vorurteilen umgehen, die einem Mann in dieser Frauendomäne entgegenschlagen, sagt er. Der Klassiker seien misstrauische Eltern, die nicht wollen, dass ihr Töchterchen bei einem Mann auf dem Schoß sitzt. Müller weiß von Kollegen zu berichten, denen nahegelegt wurde, den Bereich zu wechseln, etwa vom Kindergarten in den Hort. Er selbst pflege einen guten Kontakt zu den Eltern seiner Hortkinder und habe sich nie mit solchen Ängsten konfrontiert gesehen, sagt er. Blöde Sprüche von Freunden musste sich der 26-Jährige ebenfalls noch nicht anhören: "Ich stoße fast zu 100 Prozent auf positive Rückmeldungen, wenn ich sage, ich bin Erzieher."

Die Bezahlung sei natürlich nicht gerade üppig, meint Müller, "aber es reicht zum Leben." Seiner Überzeugung nach ergreift niemand des Geldes wegen einen sozialen Beruf. Dass es schwierig ist, von einem Erziehergehalt eine Familie zu ernähren, sieht der junge Mann gelassen: "Ich hätte zum Beispiel kein Problem damit, dass ich, wenn ich mal ein Kind bekomme, Elternzeit nehme und zu Hause bleibe." Das klassische Rollenmodell hält er sowieso für nicht mehr zeitgemäß.

Einerseits verhalten sich Männer anders als Frauen. Wenn beim Fußballspielen ein Kind hinfällt und die Erzieherinnen sofort besorgt loslaufen, schaut Müller erst einmal, ob es sich von selbst wieder aufrappelt und weiterspielt, denn es ist ihm wichtig, dass die Kinder selbständig werden. Andererseits möchte er ihnen zeigen, dass Männer und Frauen die gleiche Arbeit tun können. "Ich bin genauso ein Mitarbeiter wie alle meine Kolleginnen auch. Wenn unsere Küchenkraft krank ist, stelle ich mich eben an den Herd."

Dass Männer im Erzieherberuf von allen Seiten besondere Anerkennung genießen, kann der Hobby-Eishockey-Spieler bestätigen. Hat zum Beispiel ein Kind im Hort Geburtstag, sucht es sich als Betreuer der kleinen Feier fast immer den einzigen Mann in der Einrichtung aus. Außerdem habe Müller stets eine einzige Bewerbung gereicht, um seine favorisierte Stelle zu bekommen. Gesellschaftlich sei der Beruf jedoch zu wenig angesehen, so dass der Erzieher vermutet, er werde auch in zehn Jahren noch nur wenige männliche Kollegen um sich haben. Doch Patrick Müller liebt seinen Job. "Es geht hier um das Wichtigste, das wir in der Gesellschaft haben, und das sind die Kinder - ob ich da ein Mann oder eine Frau bin, ist aus meiner Sicht relativ egal."

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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