Malerei, Skulpturen und mehr:Auflösen im Entstehen

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Zum sechsten Mal öffnet die Gruppe "Kunststoff" in Poing und Umgebung ihre Ateliers. Einige bekannte, aber auch neue Gesichter sind dabei

Von Theresa Parstorfer

Die Frau ohne Namen löst sich auf. Von der linken Seite des Betrachters aus gesehen. Langsam scheinen die Konturen ihres stählernen Körpers zu zerfließen, sodass die fingerlangen Metallstifte, die ihre Haut strukturieren, sichtbar werden. Ihr feines Gesicht richtet sie ein wenig nach unten, doch der Blick weist auch nach links. Dort steht eine weitere Stahlfrau, und auch ihre Augen scheinen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf eine nächste Skulptur noch einmal ein paar Meter weiter zu lenken. Sie alle sind Frauen, sie alle sind aus Stahl und sie alle wurden geschweißt und geflext von Karl Orth. Der steht in der kühlen Halle seiner Werkstätte in Poing zwischen seinen Kunstwerken und erklärt, warum keines davon einen Namen hat. "Ich finde, das würde den Betrachter in eine Richtung lenken, die er vielleicht nicht einschlagen würde, wenn er die Figur einfach so anschaut", sagt er.

Orth ist hauptberuflich Bildhauer und war auch schon in den vergangenen Jahren dabei, wenn Künstler in Poing und Umgebung die Türen ihrer Ateliers für ein Wochenende im Frühling öffneten, um Interessierten nicht nur ihre Kunst zu zeigen, sondern auch zu erklären, wie sie entsteht. Organisiert werden die Ateliertage der Gruppe "Kunststoff" seit sechs Jahren von Inge Schmidt. Sie arbeitet etwa drei Straßenzüge oder elf Gehminuten von Orth entfernt in einer Doppelgarage. Auch dort ist es selbst an einem so überraschend warmen Frühlingstag wie diesem beinahe so kalt, dass eine Jacke angebracht ist.

Ottilie Gaigl muss ihre Ateliertüren gar nicht öffnen - ihre Kunst entstand teils aus Fundstücken auf der Straße und wird auch dort ausgestellt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vier Künstlerinnen haben sich im Atelier am Osterfeld auf vier Ecken des Raumes verteilt: Cornelia Propstmeier ist Architektin, ihre Arbeiten zeigen meistens Landschaften. Während ihre Kunst in der Vergangenheit eher schematisch war, hat sie im zurückliegenden Jahr verhältnismäßig realistisch gemalt. Immer jedoch fasziniere sie das Spiel mit Licht und Schatten, sagt sie. Ebenfalls zum wiederholten Mal vertreten sind Rosemarie Hingerl und Conny Boy, die sich beide immer wieder gerne für Blumenmotive entscheiden.

Zwischen diesen beiden Künstlerinnen hat Inge Schmidt, die Organisatorin, ihre Ecke gefunden. Sie ist gelernte Bildhauerin, malt aber auch. Doch was vor allen Dingen ins Auge fällt, ist die Skulptur eines weiblichen Oberkörpers aus weißem Alabaster. Wie auch die Figuren von Orth scheint sich das 80 Kilogramm schwere Kunstwerk, das Schmidt aus dem massiven Stein geschlagen hat, aufzulösen. Der Oberkörper der Frau hat zwar weder Kopf, noch Beine oder Arme, dafür aber einen Namen: "Eurydike" heißt sie, wie die Geliebte des sagenumwobenen Sängers Orpheus, der sich nach dem Tod seiner Freundein so nach ihr verzehrte, dass er ihr in den Hades folgte. "Eurydike symbolisiert für mich Liebe, Leidenschaft und Lust", sagt Schmidt. Doch auch dafür, sich aufzulösen. Deshalb also ist der Brustkorb der Skulptur ausgehöhlt, kein Herz - und sei es nur aus Alabaster - schlägt mehr in ihrer Brust.

Inge Schmidt fasziniert das Werden und das Vergehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Erklärungen wie diese können sich die Besucher in den Ateliers erfragen, die am Samstag und Sonntag jeweils von nachmittags bis in den Abend hinein geöffnet haben werden und bei gutem Wetter auch locker mit dem Fahrrad abgefahren werden können. Doch nicht nur der Entstehungsprozess von Kunstwerken soll theoretisch erklärt werden. In der Werkstatt von Maria Heller in Markt Schwaben können Besucher beispielsweise selbst einen Holzdruck anfertigen, während Stefan Pillokat zeigt, wie er sich in das Holz hineinarbeitet, bis eine Figur draus wird.

Insgesamt zwölf Künstler nehmen teil am offenen Atelier, vier davon sind sogenannte Gastkünstler, die noch nie zu diesem Anlass in Poing ausgestellt haben, Josef Thalhofer und Monika Lehmann etwa. Beide malen großflächige Ölgemälde, die für dieses Wochenende in Orths Werkstatt hängen und dem Raum um dessen schlanke, sich auflösende Frauenfiguren eine faszinierende Dynamik geben. Normalerweise beschäftigt sich Thalhofer in seinem Beruf des Architekten mit genauer Ausführung und dem Einhalten von Normen. Doch in seiner Malerei löse er sich eben davon, beschreibt er seinen Arbeitsprozess im Ausstellungskatalog. Große helle und dunkle Flächen, in Schichtung und Überlappung, mit Farbverläufen und kleineren farbigen Elementen sind das Ergebnis.

Karl Orth ist hauptberuflich Bildhauer und war auch schon in den vergangenen Jahren dabei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Monika Lehmann hingegen, deren Bilder abwechselnd mit seinen gehängt sind, widmet sich konkreteren Beobachtungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen und setzt sie in ihrer eigenen Bildsprache um. Vor einem ihrer Gemälde, auf dem in leuchtenden Farben und breiten Pinselstrichen eine sitzende Frau abgebildet ist, steht die einzige von Orths Figuren im Raum, die keine Frau ist. Sondern ein Hund. Ob er öfter Tiere schweißt? Orth schüttelt den Kopf. "Nein, aber da war ich ein bisschen sauer auf meinen Hund, weil der jede Katze auf der Straße anbellt", sagt er und lacht ein bisschen. Wieso sich die Frauen alle auflösen, das wird er auch oft gefragt während des offenen Ateliers. "Ich denke mir gar nicht so viel dabei", sagt er. "Aber vielleicht lösen sie sich nicht auf. Vielleicht entstehen sie erst."

Die Ateliers der Gruppe "Kunststoff" öffnen am Samstag, 21. April, von 15 bis 21 Uhr, und am Sonntag, 22. April, von 13 bis 18 Uhr ihre Türen. Die Werkstätten befinden sich in der Kampenwandstraße 1 und der Eichenstraße 4 in Poing, im Kirchenweg 11 in Anzing, der Geltinger Straße 65 und dem Markgrafenweg 33 in Markt Schwaben, sowie im Bader Hotel und dem Hartholzweg 14 in Parsdorf.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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