Literatur:Untergehen im Lärm

Lesezeit: 3 min

Maximilian Dorner sitzt im Rollstuhl - zum Thema Einsamkeit hat er seine eigenen Erkenntnisse, die er in seinem neuen Buch veröffentlicht. (Foto: Endt)

Maximilian Dorner präsentiert im Alten Kino Ebersberg sein neues Buch. Darin geht es um den Begriff und das Gefühl der Einsamkeit

Von Peter Kees, Ebersberg

Schlägt man das Wort "einsam" in einem etymologischen Wörterbuch nach, so erfährt man dort, dass jenes Adjektiv seit dem 14. Jahrhundert belegt ist, in der Bedeutung von "allein(ig)". Seit dem 16. Jahrhundert steht "einsam" auch für "unverheiratet" und, so wie heute noch, "für sich allein, verlassen". Jeder weiß etwas mit dem Begriff anzufangen, doch wie mit jedem anderen Ausdruck, so ist es auch mit der Einsamkeit: Die Bedeutung von Worten ist immer einem Wandel ausgesetzt. Die Begriffsgeschichte kann zu Verwirrungen führen. Mitunter findet sich ganz unterschiedlicher Sinn. Einsamkeit - gibt es das heute überhaupt noch, in einer Zeit der digitalen sozialen Netzwerke?

Für Maximilian Dorner, der auf Einladung des Katholischen Kreisbildungswerks sein neues Buch "Einsam, na und?" im Alten Kino in Ebersberg vorstellte, hat der Begriff eine besondere Bedeutung. Untertitelt ist diese Publikation mit der Zeile "Von der Entdeckung eines Lebensgefühls". Man muss wissen, der 1973 in München geborene Dorner leidet an Multipler Sklerose und sitzt im Rollstuhl. Er studierte als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes an der Bayerischen Theaterakademie Dramaturgie. Seit 2000 ist er als Autor, Regisseur und Literaturlektor tätig. Davor drehte er Filme, produzierte Hörspiele und arbeitete als Theaterkritiker und Dramaturg. Mittlerweile veröffentlichte er sechs Bücher, darunter einen Roman, für den er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet wurde. "Einsam, na und?" ist sein siebtes Buch. Behinderungen, Trost und Einsamkeit sind die wichtigsten Motive seiner autobiografisch geprägten Veröffentlichungen.

Die Quintessenz des Buches, das übrigens diesen Montag offiziell im Buchhandel erscheint, ist in etwa die, dass das Gefühl der Einsamkeit auch bedeuten kann, sich für einen Aufbruch bereit zu machen. Einsamkeit, so Dorner, sei ein Kommen und Gehen, ein Herauf-Fluten und Abebben. Man könne entweder unter ihr leiden, oder sie annehmen, sie ansehen und einfach vorüberziehen lassen. Facettenreich setzt sich der Autor in 24 Kapiteln mit den Aspekten dieses Gefühls auseinander. Einsamkeit beschreibt er dabei als eines der letzten Tabuthemen, denn sie sei mit Scham verknüpft, weshalb niemand gerne darüber spreche. Dorners Lesung im Alten Kino war eine Premiere. Deutlich machte er dabei, dass die Möglichkeiten, einsam zu sein, heutzutage gewachsen sind. Einsame Menschen gingen nicht in Stille unter, sondern im Lärm. Schon deshalb begann er seine Lesung mit einem Kapitel, in dem er analoge und digitale Einsamkeit unterscheidet. Während analoge Einsamkeit zu tun habe mit der Quantität sozialer Kontakte, so gehe es bei der digitalen Einsamkeit um die Qualität solcher Kontakte, denn durchs Internet seien wir ständig mit jemandem verbunden - häufig jedoch dabei abgeschnitten. Aus seiner Sicht sei das ein großes Thema für die junge Generation, wobei er der Überzeugung ist, hier werde eine neue Begrifflichkeit Einzug halten, ähnlich wie Burnout die Depression ablöst.

In seinem Buch verwebt Dorner autobiografische Momente mit sozialen und philosophischen Erkenntnissen. Da erzählt er von Reisen im Rollstuhl im Alleingang, dem Gefühl, selbst ausgesetzt zu sein, spricht vom Verlust von Selbstachtung oder führt vor, wie Einsamkeit in unterschiedlichen Lebensaltern Platz im Leben hat. Ein Neugeborener begehrt beispielsweise reflexartig auf, wenn die Mutter weg ist, Kleinkinder kämpfen gegen Verlassenheit, doch schon für Kinder ist das anders, noch mehr für Erwachsene.

Er erzählt von einer Begegnung mit der 92-jährigen Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, thematisiert die Einsamkeit des Alters und stellt fest, Einsamkeit spiele am Anfang und am Ende des Lebens in Form von Hilflosigkeit eine Rolle im Leben eines jeden Menschen. Alle möglichen Seiten des sich Einsam-Fühlens und des entsprechenden Umgangs damit in den verschiedenen Dekaden eines Lebens werden bloßgestellt. Auch die Einsamkeit im Beruf - nie thematisiert - wird angesprochen. Er lässt keine Seite aus, ob Einsamkeit in Beziehungen oder beim Sex, Dorner blickt in alle Richtungen.

Schonungslos ist er dabei, ehrlich - und amüsant. Sicher, auch das wird angesprochen: Geschwister und Vorfahren der Einsamkeit sind nicht nur Scham, Wut und Angst, sondern auch Freiheit, Stolz und Sehnsucht. Unterm Strich: Einsamkeit ist ein Warnsignal, dass etwas nicht stimmt. Aber es gelte, sich ihr zu stellen und sie anzunehmen. Einsam sein heißt, sich bereit machen für den Aufbruch.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: