Literarischer Herbst in Zorneding:Alle im gleichen Zug

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Über die Endlichkeit lesen Carolin Schubert und Peter Wurm

Von Stella Vogl, Zorneding

Wilhelm Erdewein aus Zorneding gehörte zu den zahlreichen Besuchern, die sich überwunden hatten, "raus zu gehen, wenn's schon dunkel draußen ist". Er war einer jener älteren Herrschaften, die sich am Samstagabend im Gemeindesaal der Christophoruskirche eingefunden hatten, um Geschichten und Gedanken über das Älterwerden, über die vergehende Zeit und über die Endlichkeit zu lauschen. Gut zwei Stunden lang ging es bei der achten Veranstaltung des Literarischen Herbstes um jenes Schicksal, das wir alle teilen - am Ende ist es einfach aus.

Bei Rot- und Weißwein, gedimmtem Licht und eingetaucht in Kerzenschein lasen die ehemalige Theaterschauspielerin Carolin Schubert und Peter Wurm aus dem Verein Pro Christophoruskirche Gedichte und Ausschnitte aus Interviews und Liedtexten vor, wobei sämtliche Tonlagen rund ums Sterben bedient wurden: nachdenkliche und poetische Stimmungen bis hin zu rabenschwarzem Humor. Eine Klammer bildeten dabei die vier Gespräche zwischen dem österreichischen Künstler André Heller und seiner betagten Mutter, die geschickt über den Abend verteilt wurden. Immer wieder drehten sich die Mutter-Sohn-Dialoge ums Sterben und ums Älterwerden: Eine Entwicklung, die Mutter Heller mal mit Humor, mal mit Nachdenklichkeit nachzeichnete, aber stets in einem bissigen und unverbesserlichen Ton. André Heller bot seiner Mutter Paroli. So kommentierte er lapidar die von der Mutter präferierte Reinkarnation ihrer selbst als "großer Sommerwiese" mit den Worten: "Und die Viecher würden dich düngen".

Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Angesicht eines bevorstehenden Abschieds wurde auch in einem Interview mit dem Schauspieler und Musiker Ulrich Tukur aufgegriffen. Er erzählte vom schwierigen Umgang mit dem Thema Sterben. Ein Gespräch über den sich ankündigenden Tod seines Vaters sei nicht möglich gewesen, dieser habe sich regelrecht einen "Panzer" zugelegt. Erst auf dem Sterbebett kam es zu einem Kuss, einer Zärtlichkeit, die bis dahin dem Sohn verwehrt geblieben war, und ihm erst im Nachhinein die Liebe zum Vater vor Augen führte.

An mancher Stelle wurde es im Publikum still, der ein oder andere musste schlucken. Letztlich verbindet man das Älterwerden ja auch mit dem Verlust geliebter Menschen. Heitere Lieder und ironische Zitate ließen die Gewissheit zwar zwischendurch weniger niederschmetternd erscheinen, doch sie blieb in jeder Zeile und jedem Vers spürbar. Trotzdem reagierte das Publikum mit so manchem Augenzwinkern auf den literarischen Umgang mit der schweren Kost. Als Hans Wurm "nur ein kleines Gschichtl" aus dem Werk "Vonne Endlichkait" von Günther Grass vortrug, der sich mit viel Biss und Pointe des Themas Zahnverlust im Alter annahm, reagierte das Publikum mit befreitem Lachen auf die so Grass-typische detaillierte Beschreibung. Wehmut mischte sich dann aber wieder unter, als das Gedicht "Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte" von Jorge Louis Borges vorgetragen wurde. Der argentinische Autor ist sich darin seines baldigen Todes durchaus bewusst und resümiert, was er anders machen würde, wenn er denn noch könnte: Mehr barfuß gehen, mehr Fehler machen und nicht immer so gesund leben nämlich. Kleine Dinge, Augenblicke, ein bisschen Genuss hier und da - der ein oder andere Zuhörer wird die Mahnung gern mit nach Hause genommen haben. Erich Kästner fasste das Älterwerden in einer metaphorischen Beschreibung zusammen. Zwischen Schwermut und Nüchternheit stellte er fest: " Wir sitzen alle im gleichen Zug". Und erinnerte ganz wie der zitierte Georg Ringsgwandl in seinem Lied "Nix Mitnehma" daran, dass Materielles, der gute Ruf und alles Irdische letztendlich dasselbe unumgängliche Schicksal ereilen - es segnet das Zeitliche.

Für die vielschichtige Aufbereitung eines oftmals verdrängten Themas bedankte sich das Publikum, darunter auch der sichtlich begeisterte Wilhelm Erdewein, mit lautem Applaus.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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