Berlusconi-Gegnerin:Die Normalität des Vulgären

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Die in Ebersberg lebende Schriftstellerin Silvia di Natale ist besorgt um die politische Kultur Italiens unter Berlusconi.

Rita Baedeker

Distanz hat manchmal etwas Gutes. Aus der Entfernung sieht man Menschen und Ereignisse klarer und schärfer, während andauernde Nähe einlullt und die liebe Gewohnheit das Urteilsvermögen schwächt. Ein schleichender, die Wirklichkeit verzerrender Bewusstseinsprozess sei derzeit in dem von Ministerpräsident Silvio Berlusconi regierten Italien im Gange, fürchtet Silvia di Natale, Schriftstellerin und Künstlerin aus Mailand.

Die Künstlerin und Schriftstellerin Silvia di Natale empört sich über das Treiben des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit drei Jahren lebt die Literatur- und Sozialwissenschaftlerin am Egglsee in Ebersberg. Rom ist weit weg. Von ihrem Schreibtisch aus schaut sie auf Bauernhof, Kirche, Wald und den von Schilfinseln bewachsenen See. Hier findet sie Ruhe und Muße zum Schreiben.

Doch weder die Entfernung zur Heimat noch die ländliche Idylle können ihren Ärger über den "Macho" dämpfen, der keine Grenzen mehr kenne. Empört über den jüngsten Auftritt Berlusconis, der sich in eine Fernsehshow einschaltete und den Moderator wüst beschimpfte, bringt sie das Niveau der von ihm kontrollierten Fernsehprogramme auf einen simplen Nenner: "Witze aus den Fünzigern und lange Frauenbeine".

Die "Causa Berlusconi" ist in ihren Augen jedoch nicht nur eine Schmierenkomödie: "Bei der Frage: ,Was denken Sie über Berlusconi' wird mir übel", sagt di Natale. "Als ob ein anständiger Mensch etwas anderes als Empörung empfinden könnte über einen Mann, der nur lächerlich wäre, wäre er nicht der Regierungschef Italiens; als ob man etwas anderes als Wut und Scham empfinden könnte für ein Land, das ihn immer noch erträgt." Der Cavaliere in seiner Villa Arcore - in Italien nenne man sie auch "Villa Hardcore" -, sei ein Kandidat für die Dante'sche Hölle.

Silvia di Natale sorgt sich auch um das Bild, das Italien in der Welt und in Deutschland abgibt. "Die Deutschen halten die Italiener für gutmütig und geduldig, nehmen sie aber nicht ernst." Zumindest im Fall Berlusconi sei Gutmütigkeit jedoch nicht mehr angebracht. Silvia di Natale hat jedenfalls die Geduld verloren. Ihrem Ärger hat sie jetzt in einem offenen Brief Luft gemacht und hofft, damit andere Landsleute zu erreichen. Zu viel Geduld werde zu Dummheit und Komplizenschaft. Die Italiener hätten selbst ihren "Diktator" gewählt, doch sie könnten ihn auf die gleiche Weise wieder loswerden, schreibt di Natale.

Das Thema Berlusconi beschäftigt viele im Landkreis lebende Italiener. Nur wenige wollen öffentlich zu dem Thema Stellung nehmen. Nicola Salerno aus Kalabrien, der als Kind nach Deutschland kam und heute kaufmännisch tätig ist, äußert sich drastisch. Berlusconi sei eine Schande für die Bürger. "Die Kontrolle, die er auf die Medien ausübt, sollten eine Warnung für andere Länder sein." Salerno unterrichtet an der Volkshochschule Italienisch und hat kein Verständnis dafür, dass Berlusconi immer noch Sympathien erntet. "Ich hoffe, dass er abgewählt wird, aber er hat unsichtbare Mächte hinter sich."

Wie er, hat auch Silvia di Natale bei ihrer Kritik weniger die Sexaffären des 74-Jährigen als dessen Einfluss auf die politische Kultur im Blick. Nicht nur die Würde des politischen Amts werde durch seine Person beschädigt, die Gesellschaft gewöhne sich zunehmend an die Normalität des Vulgären, wie di Natale sagt, die mehrere Bücher verfasst und auch für eine Zeitschrift des Mondadori-Verlags geschrieben hat, der Berlusconis Tochter gehört. "Es findet tagtäglich eine schamlose Verzerrung der Realität statt." Das Geheimnis seiner Macht: Bestechung. Die Struktur seiner Psyche: Größen- und Verfolgungswahn. "Die Lüge wird gesellschaftsfähig, die Wahrheit verdreht." Da sich Berlusconi gern wie der Mann von der Straße gebärde, werde er bewundert und beneidet. Unter den Bürgern des "anderen Italiens" dagegen, zu dem sie sich zählt, breite sich eine gedrückte, resignative Stimmung aus angesichts des Schmutzes, der sich tagtäglich ansammle.

"Die Gefahr dabei ist, dass sich die Menschen nicht mehr entrüsten, sondern an das Übel gewöhnen." Der Vergleich treffe zwar nicht ganz, aber der Weg hin zum Faschismus vollziehe sich stets in kleinen, unbemerkten Schritten. Nicht selten erkennt man die Anfänge zuallererst aus der Entfernung.

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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