Lesung in Grafing:Lehren aus der Literatur

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Franz Frey fordert seine Zuhörer auf, nicht immer alles einfach hinzunehmen. In der Literatur finden sich dafür ausreichend Vorbilder, wie er in einer Lesung unterstreicht. (Foto: Christian Endt)

Bei einer Lesung im Heimatmuseum Grafing ruft Franz Frey "Alarm!" und fordert zum kritischen Denken auf

Von Sandra Langmann, Grafing

Ein zartes, zögerliches Klingeln ertönt im Mehrzwecksaal des Heimatmuseums in Grafing. Viel zu leise, so die mahnende Stimme von Franz Frey, des ersten Vorsitzenden des Fördervereins Museum der Stadt Grafing. Mit erhobenen Zeigefinger brüllt er "Alarm, Alarm" und befindet diese Lautstärke um einiges angemessener. Die Alarmglocken müssten deutlich lauter läuten, wenn es mit der Welt abwärts geht, ist Frey überzeugt.

Die Begriffe wie Krise, Chaos und Katastrophe werden laut Museumsleiter Bernhard Schäfer nur mehr inflationär verwendet und verringerten heutzutage die Sensibilität für wirklich lebensbedrohliche Herausforderungen der Menschheit. Anlässlich dieser Erkenntnis und der Ausstellung "Oh Du mein Gott! - Katastrophen und Unglücksfälle in Grafing und Umgebung" fand die Lesung "Alarm, Alarm! - Heftige literarische Niederschläge" in den Räumen des Heimatmuseums statt. Mit dunkler, kräftiger Stimme gab Franz Frey den Besuchern einen Einblick in die Welt der Literatur und machte einen Streifzug durch verschiedenste literarische Texte aus den unterschiedlichsten Epochen - mit dem Hintergrund, die Katastrophen von damals aufzuzeigen. Wann wurde beispielsweise im 19. Jahrhundert "Alarm, Alarm!" geschrien? Mit welchen Dingen beschäftigte sich die Bevölkerung von damals und was bewegte die Autoren?

Frey reiste zurück in die Welt des Mittelalters und zitierte in mittelhochdeutscher Sprache den "Reichston" des Walther von der Vogelweide Ende des zwölften Jahrhunderts. In der dritten Strophe seiner Spruchdichtung stellte dieser die Streitigkeiten zwischen Geistlichen und Weltlichen dar. Das Mittelalter war geprägt vom Motiv des Memento Mori, den Gedanken an Tod und Weltuntergang, der auch in Zeiten des Barock von Andreas Gryphius niedergeschrieben wurde. 1636 erschien dessen berühmtes Sonett "Tränen des Vaterlandes", das vom Dreißigjährigen Krieg, Pest und Hungersnot handelt. Die Bevölkerung erlitt große Verluste und es dauerte hundert Jahre, bis sie sich davon erholte. "Das waren Katastrophen, womit die Menschen konfrontiert waren", erzählt Frey kopfschüttelnd und fährt mit dem "Kriegslied" von Matthias Claudius aus dem Jahr 1780 fort. Und nach den "Kalendergeschichten" von Bertolt Brecht spekuliert er zu einem Text von Wolfgang Borchert über das "Nein-sagen-können". Franz Frey ermuntert das Publikum dazu, in der heutigen Zeit kritisch zu denken und auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Das sei auch im Hinblick auf die Nachkriegsliteratur im Hinterkopf zu behalten, zu deren berühmten Vertretern Grass, Böll und Enzensberger genannt werden.

Das berühmte Gedicht "Ins Lesebuch für die Oberstufe" von Hans Magnus Enzensberger weist Passagen auf, die erschreckenderweise von 1957 auf die Gegenwart umgelegt werden können. "Wut und Geduld sind nötig, in die Lungen der Macht zu blasen den feinen tödlichen Staub, gemahlen von denen, die viel gelernt haben, die genau sind, von dir." Franz Frey zitiert auch Uwe Dick aus dem Jahr 1972 und spricht im Bezug darauf von den Menschen, die von Gier beseelt sind. Heute sehe es leider nicht anders aus. "Wir sind dafür verantwortlich, was wir tun und was wir nicht tun", sagt Frey und ermahnt das Publikum abermals, laut "Alarm!" zu rufen, statt alles einfach hinzunehmen - wie beispielsweise den amerikanischen Präsidenten. In der Schöpfungsgeschichte hieß es "Gott sah, dass es gut war." Frey ist sich nicht sicher, ob der Schöpfer es aus heutiger Sicht auch noch so sehen würde.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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