Leben in Grafing:Lichtblick in der Wohnungsnot

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In der Grafinger Schloßstraße stehen zahlreiche Wohnungen zum Verkauf. Die Stadt überlegt nun, ob sie zuschlagen soll. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Grafing erwägt möglicherweise den Erwerb von zahlreichen Immobilien, die ein Investor in der Schloßstraße anbietet

Von Thorsten Rienth, Grafing

Es wird ein Wechsel in seltener Größenordnung: Das Eigentümerunternehmen aus Luxemburg will die Wohnblocks der Hausnummern vier bis 20 in der Grafinger Schloßstraße verkaufen. Um insgesamt 100 Wohnungen in neun Häusern geht es - und das bringt nun die Stadt Grafing auf den Plan. Bürgermeister Christian Bauer (CSU) spricht gegenüber der SZ von "ernsthaftem Interesse" an mehreren Wohnungen oder gar einem kompletten Hausblock. "Günstige Mieten sind in der Stadt ein Dauerthema", sagt der Bürgermeister. Eine Selbstverständlichkeit sei es vor diesem Hintergrund, sich die Sache genauer anzuschauen. Womöglich ergebe sich die "gute Möglichkeit, Wohnraum vom Spekulationsmarkt zu wegzunehmen".

Bei den Schloßstraße-Bewohnern überwiegen freilich die Sorgen. "Die Leute haben Angst vor Mieterhöhungen oder schlimmstenfalls Kündigungen", berichtet Klaus Mörtel. Er selber wohne seit den frühen 1970er Jahren in einem der Häuser und sei 90 Jahre alt. Bei zehn Jahren würde sein Kündigungsschutz wohl liegen. "Da wäre ich also mindestens 100 Jahre alt." Bei vielen Nachbarn lägen die Dinge anders. Dort nage die Ungewissheit an der Geduld. "Das alles ist eine ungute Situation."

Wer wissen will, was Mörtel meint, muss in die Immobilien-Portale klicken: Zwei Grafinger Zimmer auf 62 Quadratmetern gibt es dort zum Beispiel für monatlich 890 Euro Kaltmiete. Die 30-Prozent-Regel zugrunde gelegt, wonach die Kaltmiete 30 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens nicht überschreiten sollte, wäre ein solches von etwa 2950 Euro nötig. Der klassische Arbeitnehmer etwa aus dem sozialen Bereich braucht sich da keine großen Hoffnungen machen. Anders könnte die Sache freilich liegen, würde das Rathaus über Mietzins und Mieter entscheiden. Das ist der Gedanke hinter der Bauer-Option.

Was Wohnungseigentümer genau planen, bleibt freilich deren Geschäftsgeheimnis. Günter Baumgartner aus dem Grafinger Bayernpartei-Vorstand machte eine Probe aufs Exempel. "Ich habe bei der Hausverwaltung angerufen, ob sie in der Schloßstraße für mich eine Wohnung frei hätten", berichtet er. "Hatten sie aber nicht", sei die Antwort gewesen. Walter Schmidtke macht das stutzig. "Ich habe von Bewohnern gehört, dass eine ganze Reihe Wohnungen leer stehen", sagt der Bayernpartei-Stadtrat. "Das wird kaum Zufall sein." Dass sich unvermietete Wohnungen teurer an Verkäufer bringen lassen als vermietete, ist auf dem Markt kein sonderliches Geheimnis.

Bürgermeister Bauer beschreibt den Stand der Dinge so: Um eine möglichen Einstieg der Stadt belastbar durchrechnen zu können, sei das Rathaus auf die Bewertungen der Wohnungen angewiesen. Ein grundsätzliches Kaufinteresse der Stadt habe er der Stadtsparkasse München mitgeteilt. Sie bereitet eigenen Angaben zufolge im Auftrag der Luxemburger die Vermarktung der Wohnungen vor. Einen neuen Kredit müsse die Stadt für eine solche Großinvestition freilich aufnehmen. Gleichwohl lägen die Zinsen niedrig. "Und wenn sich der Kaufpreis über die Mieten amortisiert, wären das auch rentierliche Schulden", ordnet der Bürgermeister ein. Schlussendlich entscheide der Stadtrat.

In die Agenda der Stadtpolitik würde sich ein solches Vorhaben jedenfalls gut einfügen. Gerade in den zurückliegenden Jahren hatte Grafing enorm in den sogenannten sozialen Wohnungsbau investiert. Unter Regie der neuen Wohnbaugesellschaft Ebersberg (WBE) weihte die Stadt im Jahr 2018 den Neubau seiner Kapellenstraße 6 ein. Zuvor waren schon die Gebäude in der Wasserburger Straße umfangreich hergerichtet worden. Aktuell saniert die Stadt unter anderem die Kranzhornstraße 12 und plant einen Neubau in der Hochriesstraße. Und am alten Bauhof sollen städtische Wohnungen unter anderem für Mitarbeiter des Seniorenhauses entstehen.

© SZ vom 26.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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