Der Angeklagte schweigt beharrlich. Doch das tut er nicht, weil er nichts sagen will. Nein, sein Mandant, so sagt sein Anwalt, habe beschlossen, mit niemanden zu sprechen. Nicht mit der Richterin, nicht einmal mit ihm. Stattdessen schreibt der Mann, ein Rentner aus dem westlichen Landkreis, seine Antworten auf die Fragen des Gerichts auf Zettel. Die gibt er seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Werner Kränzlein. Der wiederum liest sie Richterin Regina Holstein vor. So geht das den ganzen Dienstagvormittag vor der 4. Strafkammer am Landgericht München II. Es ist eine völlig außergewöhnliche Situation.
Laut ärztlicher Diagnose leidet der Rentner an einer schizoaffektiven Psychose. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft stellt der 67-Jährige, der da mit Jeans, weit aufgeknöpftem Hemd und beiger Holzfällerjacke auf der Anklagebank sitzt und nicht sprechen will, eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Von Anfang September bis Ende Oktober vergangenen Jahres soll der 67-Jährige seiner Nachbarin mehrmals Briefe geschrieben haben, in denen er ihr Avancen machte. Klingt nicht schlimm. Doch er hätte ihr weder schreiben, noch sonst Kontakt zu ihr aufnehmen dürfen. Denn 2002 hatte der Rentner versucht, die Frau in ihrer Wohnung zu vergewaltigen.
Da er bereits damals an einer schizoaffektiven Psychose erkrankt war und somit strafrechtlich nicht für die Tat verantwortlich gemacht werden konnte, hatte das Landgericht München II im September 2003 die Unterbringung des Mannes in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik angeordnet. Auch damals schon lebte der Rentner laut Ärzten in dem Wahn, seine Nachbarin empfinde Sympathien für ihn.
Im Juli 2005 wurde die Unterbringung jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Der Rentner kam in eine sozialtherapeutische Einrichtung und erhielt die Weisung, keinerlei Kontakt zu seiner Nachbarin aufzunehmen. Nach knapp einem Jahr wurde er aus der Einrichtung entlassen. Im Mai 2007 tat er das, was ihm verboten worden war. Er rief seine Nachbarin an, befahl ihr, zu ihm zu kommen und fügte hinzu: Sie solle "keine Zicken" machen. Die Behörden reagierten prompt. Der Rentner wurde zurück in eine geschlossene psychiatrische Klinik gebracht. Am 27. Februar vorigen Jahres kam er wieder frei. Für seine Nachbarin begann der Psychoterror von Neuem.
Das Opfer befindet sich in einem Sanatorium
Bereits zwei Tage vor seiner Entlassung hatte er sie angerufen und zum Geburtstag gratuliert. Dann schrieb er ihr Briefe, in denen er ihr seine überschwängliche Liebe gestand. "Ich liebe Dich mit jeder Faser meines Herzens - für immer Dein", heißt es in einem.
Am 13. Oktober 2016 erließ das Amtsgericht Ebersberg einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Rentner. Es verbot ihm jegliche Kontaktaufnahme mit seiner Nachbarin. Der Brief mit der Anordnung des Amtsgerichts wurde dem 67-Jährigen noch am selben Tag zugestellt. Doch er kümmerte sich nicht darum und warf ihn weg.
Stattdessen schrieb er seiner Nachbarin erneut und forderte sie auf, die Anschuldigungen, die sie am Amtsgericht gegen ihn vorgebracht hatte, zurückzunehmen und sich bei ihm zu entschuldigen. In der Zeit zwischen Anfang September und Anfang Oktober 2016 hatte der 67-Jährige der Frau jedoch nicht nur mehrmals Briefe geschrieben. Über mehrere Wochen hinweg hatte er ihr Familiengrab mit roten und gelben Rosen bedeckt und sie mit einem Fernglas vom Balkon seines Haus aus beobachtet.
Die Nachbarin ist inzwischen mit ihren Nerven am Ende. Der Verteidiger des 67-Jährigen sagte am Rande der Verhandlung, die Frau befinde sich derzeit in einem Sanatorium. Sie sei als Zeugin geladen. Ob sie kommen und aussagen werde, sei unklar. In der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft zur erneuten Unterbringung des 67-Jährigen in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik heißt es lapidar: "Vor dem Hintergrund der Geschehnisse aus dem Jahr 2002" sei es bei der Nachbarin zu einer "akuten psychischen Belastungsreaktion" gekommen. Der Prozess wird fortgesetzt.