Prozess am Landgericht München:Fünf Jahre für Kindesmissbrauch

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Die Kammer sieht die Vorwürfe der Übergriffe auf ein Hortkind als erwiesen an und verurteilt den Erzieher aus dem Landkreis Ebersberg zu einer Haftstrafe. Doch es bleiben Zweifel, ob der Verurteilte weitere Taten begangen hat

Von Andreas Salch, Ebersberg/München

Es ist ein Albtraum für Eltern - geschehen in einem Hort im westlichen Landkreis. Ein verheirateter Erzieher missbrauchte dort von September 2018 bis zu seiner Festnahme im November vergangenen Jahres ein kleines Mädchen. Außerdem fotografierte und verging sich der 49-Jährige an der Freundin seiner Tochter, als beide nebeneinander schliefen. Für die Übergriffe verurteilte der Vorsitzende der 4. Strafkammer am Landgericht München II, Richter Martin Hofmann, den Erzieher am Dienstag zu fünf Jahren und zwei Monaten Haft und machte keinen Hehl daraus, dass ihm bewusst sei, dass die Entscheidung nicht allen recht sein wird. Dabei blickte er zu den Eltern, deren Kind in dem Hort missbraucht wurde. Sie saßen im Zuschauerraum. Die Mutter blickte angesichts der Höhe der verhängten Strafe ihren Mann ungläubig an. Am Ende der Verhandlung schrie sie mit tränenerstickter Stimme immer wieder: "Das ist keine Strafe." Ihr Mann nahm sie in die Arme und versuchte sie zu beruhigen.

Der Vorsitzende spricht von der "Spitze eines Eisberges"

In seinem Urteil ging das Gericht davon aus, dass der Erzieher sich innerhalb von mehr als zwölf Monaten viermal an dem Kind vergangen habe. Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage davon ausgegangen, dass er das Mädchen in diesem Zeitraum "mindestens 30 Mal" sexuell missbraucht habe. Doch das Gericht hatte Zweifel an den Angaben zur Anzahl der Übergriffe, die das Mädchen bei seiner nicht öffentlichen Vernehmung machte. Die Kammer könne einen Angeklagten nur für das verurteilen, was sich "mit der erforderlichen Sicherheit feststellen" lasse, sagte Richter Hofmann. Vermutungen würden nicht weiterhelfen. Gleichwohl räumte der Vorsitzende ein, dass bei ihm und den anderen Richtern ein "ungutes Gefühl" bleibe und die "vage Ahnung", dass es sich bei den vom Gericht angenommenen vier sexuellen Missbräuchen im Hort "nur um die Spitze eines Eisberges" handeln könnte.

Im Haus des Erziehers, das Kriminalbeamte der Kripo Erding am Nachmittag des 21. November 2019 durchsuchten, wurden neben Hunderten kinder- und jugendpornografischen Schriften und Computerhardware auch eine Festplatte gefunden, "auf der noch etwas sein könnte", so Richter Hofmann bei der Urteilsbegründung. Doch was, ist unklar. Zudem hätten neben dem Mädchen, das der Angeklagte missbrauchte, auch andere Kinder des Horts Angst gehabt, stellte der Vorsitzende fest.

Der Angeklagte ist wegen Besitz von Kinderpornos vorbestraft

Das Mädchen, an dem sich der Erzieher verging, hatte sich zunächst einer Erzieherin anvertraut. Wie die Leitung des Horts darauf reagierte, darauf ging Richter Hofmann bei der Urteilsbegründung zwar nicht ein. Aber es scheint nicht alles so gelaufen zu sein, wie man es erwartet. Denn der Vorsitzende riet dazu, den Erzieherinnen "Handlungsdarreichungen" zu geben, sollten wieder Vorwürfe auftauchen, wie im Fall des Erziehers. Bei seiner Vernehmung zum Prozessauftakt hatte der 49-Jährige seine Taten, die er zum Teil gestanden hatte, als "Augenblicksversagen" und "Fehltritt" bezeichnet. "Genau das ist aber nicht der Fall", hielt Richter Hofmann dem Erzieher vor.

Bereits in der Vergangenheit hatte der Angeklagte kinderpornografische Dateien aus dem Internet heruntergeladen. Womöglich schon vor zehn Jahren hätte ihm klar sein müssen, dass er sich wegen seiner "sexuellen Orientierung gegenüber Kindern" unbedingt behandeln lassen müsse, so der Vorsitzende. Obwohl der Erzieher schon vor den Übergriffen in dem Hort eine Psychotherapie begonnen hatte, berichtete er den Therapeuten mit keinem Wort von seinen sexuellen Neigungen gegenüber Kindern. Laut einem Sachverständigen habe der 49-Jährige dies verdrängt, "um mit seinem Leben fertig zu werden."

© SZ vom 04.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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