Landgericht:Das Puzzle einer Septembernacht

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33-Jähriger muss sich wegen Vergewaltigung verantworten

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg/München

Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, heißt es oft. Doch wie kann man sich jener Wahrheit annähern, wenn zwei Versionen einer Geschichte fundamental auseinanderklaffen und es keine unbeteiligten Zeugen gibt? Wenn sie sagt: Er hat mich brutal vergewaltigt. Wenn er das bestreitet und sagt: Nein, ich habe ihr geholfen. Das Münchner Landgericht steht nun vor der schwierigen Aufgabe, das Puzzle einer Septembernacht im Jahr 2016 zusammenzusetzen. Drei Jahre Gefängnis sind das Damoklesschwert, das über dem 33-jährigen Angeklagten aus dem nördlichen Landkreis schwebt. Ein Urteil, gegen das er Berufung einlegte.

Vor dem Münchner Schöffengericht ist es eine zähe Annäherung an elementare Fragen: Was geschah in jener Septembernacht? Wer ist glaubwürdiger? Was für eine Beziehung hatten der Kfz-Mechaniker und die 63-Jährige aus dem westlichen Landkreis überhaupt, die sie im Asylbewerberheim alle nur "Omi" nannten?

Fest steht nur: Die Nebenklägerin und der Angeklagte kannten sich aus dem Heim, wo sie als Obdachlose lebte. Er half der Frau, die Krebs im Endstadium hat, bei Erledigungen und im Haushalt. Bereits 2015 hatte sie ihn der Vergewaltigung bezichtigt; das Verfahren wurde eingestellt. Und: An jenem Septemberabend vor zweieinhalb Jahren kam er in ihre Wohnung.

Für das, was dann geschah, gibt es zwei Versionen. Ihr zufolge zog sich der alkoholisierte Mann aus, zwang die Frau zum Oralverkehr, würgte und schlug sie. Die Öffentlichkeit war bei ihrer Aussage ausgeschlossen. Der Angeklagte blieb bei seiner Version, wonach er ihr etwas half und gegen 21 Uhr mit dem Bus heimfuhr. Wenn das so stimmt - warum sollte die Frau ihn der brutalen Vergewaltigung bezichtigen? Der 33-Jährige spricht von Erpressung und Eifersucht. Demnach hatte er der Frau eröffnet, dass er sie nicht mehr besuchen werde. Zudem sei sie stets eifersüchtig gewesen, wenn er mit anderen Frauen sprach. "Wir hatten eine Oma-Enkel-Beziehung", sagt er. Doch offensichtlich war es viel komplexer. Er gab an, manchmal bei ihr auf dem Boden übernachtet zu haben. Zudem habe sie ihn ständig angerufen, um Hilfe gebeten. Ehemaligen Mitbewohnern zufolge fragte sie nach seinem Auszug nach seiner neuen Adresse, sagte, dass sie ihn liebe. Bei ihrer Vernehmung sagte sie: "Wir hatten auch eine schöne Zeit miteinander."

Zeugen zeichnen das Bild einer etwas wirren Frau, die trotz ihrer Krankheit Kilometer mit dem Fahrrad zum Biertrinken fährt, ein Facebook-Konto mit dem Namen des Angeklagten anlegte, die bei der Polizei bekannt ist. Hat sie sich ihre Verletzungen womöglich selber zugefügt? Oder möchte der junge Mann einfach nur einer langen Gefängnisstrafe entgehen? Aussagen der polizeilichen Sachbearbeiterin und des Arztes der Frau sollen bei den nächsten Verhandlungsterminen Licht ins Dunkel bringen.

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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