Kunst im Rathaus:Aus dem Vollen schöpfen

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Von den hochkarätigen Künstlern aus Anzing profitiert auch das Flair in den Amtsstuben

Von Franziska Langhammer, Anzing

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hatte eine Vorliebe für die Grafikdrucke von Edward Ruscha, Helmut Schmidt bevorzugte nordische Künstler wie Emil Nolde. Doch was hängt wohl über den Schreibtischen unserer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister? Dieser Frage geht die Süddeutsche Zeitung Ebersberg in ihrer Serie "Kunst im Rathaus" nach: ein kleiner Rundgang durch die Amtsstuben im Landkreis. Als er ein kleiner Junge war, erinnert sich Franz Finauer, kamen sie zu seinem Opa und wollten wissen, ob ihm ihre Bilder gefallen würden. Und nicht irgendwer fragte da nach: Der renommierte Kirchenmaler und Akademie-Professor Franz Klemmer und der erst spät zu Ansehen gekommene Expressionist Joseph Loher wollten die Meinung des Großvaters zu ihren Kunstwerken hören. "Ich hab mich schon darüber gewundert", sagt Finauer, "ich hab' meinem Opa damals kein großes Kunstverständnis zugetraut."

Der Großvater, seines Zeichens Schreiner, war den Menschen zugetan. Weil kurz nach dem Krieg große Armut unter der Bevölkerung herrschte, nahm er für Reparaturen am Haus nicht etwa Geld an, sondern ließ sich mit Bildern bezahlen. Mit Kunstwerken, deren Wert damals vielleicht noch nicht so absehbar war, weil die Künstler noch nicht zum verdienten Renommée gelangt waren. Der Großvater vermachte die Werke später dem Vater, und dieser vererbte sie weiter an seine Kinder. Eines von ihnen ist Franz Finauer, heute Bürgermeister der Gemeinde Anzing. Und so kommt es, dass im ganzen Rathaus verteilt Spuren der Nachkriegsgeschichte zu finden sind - in Form von geschenkten Bildern.

Franz Finauers Lieblingsbild hängt gut sichtbar direkt gegenüber seines Schreibtischs. Es stammt von Joseph Loher (1907 bis 2002) und zeigt einen Mann, der genussvoll, mit geschlossenen Augen an seiner Pfeife zieht. Der Rauch steigt in hellen Schwaden aus dem Bild, das Hemd und die Haare des passionierten Rauchers leuchten in intensiven Aquarellfarben - ein typischer Loher, wie Finauer erklärt: "Früher hat man noch geredet: Die Farben stimmen ja nicht, lila Haare, was soll denn das sein - das ganze Expressionistische war damals noch verpönt."

Der gebürtige Münchner Joseph Loher gehört zur Künstlergruppe der so genannten "Verlorenen Generation", die unter den Nationalsozialisten als "entartet" galt - und nach dem Krieg als unmodern. Er hatte seit 1940 mit seiner Frau Gretel Loher-Schmeck und seinem Sohn Martin in Frotzhofen bei Anzing gelebt und gearbeitet. "Meine Oma und die Gretel Loher-Schmeck waren gut befreundet, haben zum Beispiel Honig getauscht", erzählt Bürgermeister Finauer. Auch Loher-Schmeck war vor ihrer Anzinger Zeit als Malerin aktiv; mit dem Leben auf dem Lande nahm sie Abschied von der Ölmalerei und fertigte fortan vorwiegend Skizzen an. Zwei dieser Werke hängen ebenfalls an der Wand des Bürgermeisterzimmers; mit schnellen, geübten Strichen sind hier Szenen aus dem Ebersberger Forst festgehalten. Auch im Zimmer nebenan hängen zwei Bilder von Loher-Schmeck: mit Kohlestiften gemalte Porträts eines Jungen und eines Mädchens, die ernst und mit beinah ehrfürchtigem Blick die Welt bestaunen.

Neben den geschenkten Kunstwerken hat die Gemeinde auch viele Gemälde, die das Rathaus zieren, selbst angekauft. Mal zieht der Bürgermeister persönlich los, mal schickt er auch Mitarbeiter zu Ausstellungen einheimischer Künstler mit der Vorgabe: "Wir kaufen zwei Bilder." Diese dürfen die Gesandten dann selbst aussuchen. Bis auf diese Bilder und ein wenig Platz an Pinnwänden will Finauer jedoch nichts an den strikt in Weiß gehaltenen Rathauswänden sehen. "Ich will nicht, dass es hier aussieht wie in einem Bahnhofskiosk", erklärt er, "ich will es geschmackvoll haben." Das Angebot qualitativ hochwertiger Werke von Künstlern aus der Region dafür lässt wenig zu wünschen übrig. "Ich bin überrascht und stolz, dass es so viele gute Künstler in Anzing gibt", sagt Finauer.

Weiterhin sehr präsent in den Amtsstuben sind beispielsweise auch die Drucke und Malereien von Thomas Abold, der mittlerweile 87 Jahre alt ist und immer noch munter arbeitet und ausstellt. Schon fast ikonografischen Charakter hat sein im Treppenhaus ausgestellter Holzschnitt zur 1200-Jahr-Feier der Gemeinde, welcher fünf Szenen aus der Geschichte Anzings zeigt. Den Holzstock dafür hat Franz Finauer, wie sein Vater und sein Großvater ebenfalls Schreiner, selbst angefertigt. Dreimal habe er ihn hobeln müssen, erzählt er, bis der Künstler zufrieden war. Von dem Holzschnitt existieren 50 Drucke, von denen im Jubiläumsjahr 2012 jedes Gemeinderatsmitglied einen geschenkt bekommen hat. Auch Finauer selbst hat ein Exemplar davon zu Hause hängen.

Etwas versteckt und doch mit wuchtiger Präsenz zeigt sich im Trauungszimmer im Erdgeschoss eine Malerei von Franz Klemmer. Sie beschreibt eine religiöse Szene mit der Jungfrau Maria und dem Jesuskind vor Anzinger Kulisse; zwei Jungen nähern sich den beiden biblischen Gestalten und bringen Geschenke. Die Szene ist in dunklen, getragenen Ölfarben gehalten und hat etwas Entrücktes, der Welt Fremdes. Klemmer wurde 1879 bei Köln geboren und kaufte 1938 den Reipoldshof bei Froschkern, wo er sich ein eigenes Atelier einrichtete. Auch an ihn kann Finauer sich noch gut erinnern. Und so verweben sich bei dieser kleinen Tour durch das Anzinger Rathaus, das vor dem Sitzungssaal außerdem regelmäßig temporäre Ausstellungen beheimatet, regionale Kunst und neuere Geschichte zu einem ganz persönlichen Streifzug.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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