Kunst:Bacchus' jüngerer Bruder

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Die Bildhauerin Silvia Di Natale hat ein imposantes hölzernes Gegenstück zur historischen Bronzefigur aus Anzing entworfen. Die Statue ist nun im Ebersberger Rathaus zu sehen

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Wie es wohl ausgesehen haben mag, das Gefährt, das vor etwa 1500 Jahren den Ebersberger Forst passierte? Wer war unterwegs auf der Straße, die Rom und Regensburg verband - Kaufleute, politische Gesandte, ein Liebender? Wenn sie sprechen könnte, dann hätte sie wohl viel zu erzählen: Eine kleine Statuette des Weinkönigs Bacchus ist die einzige Zeugin dieser Reise, die schon eine Ewigkeit zurückliegt. Wahrscheinlich auf einem breiten Holzbalken an der Rückseite eines römischen Wagens befestigt, diente die 22 Zentimeter hohe Bronzestatue der Verzierung und muss wohl während einer holprigen Fahrt abgefallen sein. Im Jahre 1793 wurde die Figur im Wald nahe Anzing gefunden, heute ist sie in der Archäologischen Sammlung in München zu sehen.

Während die "Bacchusstatuette von Anzing" ihrer Größe wegen zwischen den anderen Exponaten leicht zu übersehen ist, kann das ihrem sehr viel jüngeren Bruder in Ebersberg nicht passieren: Zwei Meter groß und eine halbe Tonne schwer ist der Bacchus, in welchem die Ebersberger Bildhauerin Silvia Di Natale die kleine Bronzestatue nachempfunden hat. Die Holzskulptur wurde nun im ersten Stock des Ebersberger Rathauses von der Künstlerin und Bürgermeister Walter Brilmayer (CSU) enthüllt und soll dort als dauerhafte Leihgabe das Publikum erfreuen.

Künstlerin Silvia Di Natale (links), Bürgermeister Walter Brilmayer und Antje Berberich freuen sich über den neuen Bewohner des Ebersberger Rathauses. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Zusammenspiel mehrerer bemerkenswerter Ereignisse habe zur Entstehung des imposanten Kunstwerks beigetragen, so Bürgermeister Brilmayer. Dazu zählt unter anderem die Geschichte des Materials, aus dem die mannshohe Skulptur geschaffen wurde: Eine 200 Jahre alte Eiche, die unterhalb der kleinen Kirche am Burgberg in Hinteregglburg und damit unweit von Di Natales Atelier stand, sollte von einem Nachbarn gefällt werden. Das brachte die Künstlerin auf die Idee: "Daraus kann der Bacchus entstehen!" Das Rathaus schließlich spendierte die Eiche; auch die Kreissparkasse bezuschusste das Unternehmen.

Bei der Umsetzung blieb Di Natale größtenteils dem Original treu: Verträumt und sinnenfroh schmiegt sich der eicherne Bacchus an das Pflanzengeflecht, das ihn umrankt und von dem dicke Weinreben baumeln. Nackt steht er da, das linke Bein leger angewinkelt, hier präsentiert sich jemand mit lässiger Eleganz und ohne falsche Scham der Welt. Der "Bacchus vom Egglburger See" ist jedoch stämmiger und athletischer; alles Knabenhafte und Kindliche ist einer selbstbewussten Erscheinung des jungen Gottes gewichen. Vor allem an den Gesichtszügen ist der Wandel abzulesen: Über die Jahrhunderte hinweg scheint Bacchus seine Unschuld verloren zu haben. Obwohl weiterhin klassisch proportioniert, spiegelt sich in seiner Miene eine lakonische Weisheit wider, die beim Original nicht zu finden ist. Diese augenscheinliche Lebenserfahrung lässt den Bacchus auf das Publikum unmittel- und zugleich nahbarer wirken.

In einem Detail bediente sich Di Natale bewusst ihrer künstlerischen Freiheit: Während die Bronzefigur Fellstiefel adrett bis unter die Knie geschnürt hat, ist ihr Bacchus barfuß. Als sie zum ersten Mal eine Abbildung des gestiefelten Gottes sah, erzählt Di Natale, musste sie sofort an die Wadlstrümpfe der bayerischen Tracht denken: "Als bräuchte er als Ausrüstung gegen das kalte Klima nur die Füße warm zu halten." In ihrer Version aus Holz ist der Bacchus dafür fest im bayerischen Boden verwurzelt - für Di Natale "ein Symbol für die unübersichtlichen Wege, die zur Vermischung der Kulturen führen". Der poetische Ansatz, mit dem die Künstlerin an ihr Werk herangeht, lässt sich auf ihren akademischen Hintergrund zurückführen: Di Natale besitzt einen Doktortitel der Literaturwissenschaft und der Philosophie. Nach dem Besuch von Kunstseminaren an der Universität Regensburg stellt sie seit den 80-er Jahren Plastiken aus Marmor, Bronze und Holz her.

Wie schweißtreibend und anstrengend die Arbeit mit dem massiven Eichenstamm war, davon erzählt die Ebersberger Kuratorin Antje Berberich, die der Künstlerin von Anfang an bei der Verwirklichung des ehrgeizigen Projekts zur Seite stand. "Das Problem war der Kopf", erinnert sich Berberich. Di Natale gestaltete ihn getrennt von seinem Körper, und so geriet er mal zu klein, mal war er zu klobig. Insgesamt drei weitere Bacchus-Köpfe sind so entstanden, die nun im Rathaus als Büsten ausgestellt werden; sie lesen sich wie eine Charakterstudie zu dem römischen Weingott, dessen Ursprünge sich in der griechischen Mythologie finden.

Obwohl die imposante Skulptur Holz von drei verschiedenen Bäumen in sich vereint - die Ranken sind aus dunklerem Nussholz - wirkt sie doch wie aus einem Guss gefertigt. Ein kleines Wunderwerk, wenn man bedenkt, dass Kettensäge und Meißel die groben Instrumente waren, mit denen Di Natale bei dieser Arbeit zu Werke ging. Und vielleicht spricht die gebürtige Italienerin, die nun schon seit mehreren Jahren in Ebersberg wohnt, auch ein bisschen über sich, wenn sie findet, die Skulptur habe ihren Beinamen "Bacchus Bavaricus" mehr als verdient: "Um einen römischen Gott in einen Bayern zu verwandeln, braucht man schon ein bisschen Geduld, manchmal sogar ein und ein halbes Jahrtausend."

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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