Kulturkritik:Glühende Synapsen

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Die Schweizerin Lia Catena nimmt gerne ihre Heimat, aber auch Deutschland aufs Korn. (Foto: Christian Endt)

Die Schweizer Kabarettistin Lisa Catena beweist im Weinbeisser, dass ihr Volk viel spritziger ist, als so manch einer glaubt

Von Alexandra Leuthner, Anzing

Der Termin war goldrichtig gewählt. Lisa Catena, Schweizerin und nach eigenem Bekennen glühende Anhängerin des Fußballclubs Young Boys Bern, stand auf der schwarz abgehängten Bühne im Weinbeisser und musste daher nicht live miterleben, wie ihre Jungs mit 0:3 am ersten Spieltag der Champions League unter die Räder kamen. Stattdessen verbrüderte sie sich schon mal vorsorglich mit den - wenigen - Löwenfans im Raum. "Ach, Sie wissen ja auch, was Elend ist."

Ja, mit den Deutschen will es sich die Schweizer Kabarettistin nicht verscherzen. "Die Deutschen haben eine ganz andere Kabaretttradition", erklärt sie in der Pause, vielleicht weil sie, im Gegensatz zur Schweiz mit ihrer direkten Demokratie, immer schon stärker die Notwendigkeit gespürt hätten, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen. Nicht, dass in der Schweiz alles besser sei, "wir Schweizer sind vor allem immer dagegen", sagt Catena auf der Bühne. Haben die Deutschen also mehr Humor? Da hat sie wohl ihre Zweifel. Aber er funktioniert vielleicht ein bisschen anders als im "Heidiland", das jedenfalls meint man an der einen oder anderen Stelle im Lauf des Abends zu spüren. Es scheint fast, als kämen Catenas Pointen manchmal mit gewisser Verzögerung beim Publikum an, dann aber nachhaltig - dabei sind es doch angeblich die Schweizer, die so viel langsamer sind. "Bis ein Schweizer im Restaurant sein Essen bestellt hat, hat der deutsche Kellner es längst gebracht", witzelt die 1979 in Thun geborene Halbschweizerin, der Vater stammt aus Italiens tiefstem Süden, Reggio Calabria - schon wieder eine Vorlage für ihren Spott.

Dass Deutschland nach der letzten Wahl so lange gebraucht hatte, eine neue Regierung zu bilden, sei doch recht sympathisch rübergekommen, habe dem Land so eine "mediterrane Lässigkeit" gegeben, schließlich habe man in Italien "fast nie eine Regierung". Was nun die deutschen Kellner in der Schweiz angehe, kämen die meist aus Sachsen, seien "Wirtschaftsflüchtlinge" auf der Suche nach einer Heimat, in der ihr Dialekt endlich mal als Hochdeutsch anerkannt werde. Dummerweise gehörten diese Flüchtlinge allerdings nicht unbedingt zu jener von IS - sprich "Immenser Steuerschuld" - verfolgten Spezies, welcher ihr Land gerne Asyl gewähre. Zurückschicken also? Nein, Sachsen könne unmöglich als sicheres Herkunftsland gelten.

Gekonnt, wie sie das macht, ihr Heimatland mit seiner immer gern ins Feld geführten Neutralität - "die Schweizer sind neutral, sie liefern Waffen an alle" - und seiner Vorliebe für Steuersünder ebenso abwatscht wie die deutschen Nachbarn mit ihrer Hörigkeit für Regeln und Zertifikate - bio, vegan, lokal, laktosefrei - einem Hauptstadtflughafen, der nicht fertig wird, Pegidaaufmärschen - "make assholes small again!" - und jener "dummen Geschichte mit dem Österreicher, dem sie damals auf den Laim gegangen" sind. Österreich übrigens sei das einzige Land, aus dem man in der Schweiz keine Zeitung kaufen könne. Wenn man sie überhaupt erwähne, spreche man, erklärt Catena, nur von jenem österrischen Landvogt, dem der Freiheitskämpfer Wilhelm Tell um 1307 der Legende zufolge nachhaltig die Stirn geboten hat. "Wir können schon froh sein, dass wir den Österreicher vertrieben haben - aber wem sage ich das?!" - wieder ein Witz von jener Sorte, die ein bisschen brauchen auf ihrem Weg durch die Synapsen.

Als Musikerin und Teil einer Punkrockband hat die Tochter einer Künstlerfamilie zunächst den öffentlichen Auftritt gesucht, mehr zufällig geriet sie über einen Wettbewerb ans Kabarett, gewann 2015 den Münchner "Kabarett Kaktus" und ist nun auf den Kleinkunstbühnen in ihrem Heimatland, noch mehr aber bei uns unterwegs. Am kommenden Donnerstag hat sie einen Auftritt beim "Schlachthof" im Bayerischen Fernsehen, wo sie in ihrem aktuellen Programm "Grenzwertig" mit deutschen Kollegen wie Django Asül und Willy Astor auf der Bühne steht. Und so gut sie sich in der deutschen Kabarettszene aufgenommen fühlt, einen Seitenhieb kann sie sich doch nicht verkneifen: Ein paar Gags habe sie nicht selbst - lokal! - herstellen, sondern bei einer Firma in Bangladesch bestellen wollen, aber die seien dort völlig mit der Produktion von Billigwitzen für Mario Barth ausgelastet gewesen.

Billig will es die Schweizerin auf keinen Fall. Sie will nichts gemein haben mit jenem Frauenkabarett, in dem über Cellulite und Ehemänner geklagt wird, die den Müll nicht rausbringen. Sie will politisch und lieber unbequem als geliebt sein. Und in vielen Momenten, etwa wenn sie den Glauben an einen Fußballverein mit jenem an Jesus vergleicht und der katholischen Kirche rät, ihre verlorenen Schäfchen mit Fußballmetaphern zurück zu holen - von der Art: "Die Römer machen aggressives Pressing gegen Jesus und nageln ihn schließlich ans Kreuz" - dann gelingt ihr das perfekt. Chapeau!

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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