Kultur im Landkreis Ebersberg:Retardierendes Moment

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Die Musikerin Martina Eisenreich hat den Lockdown auf besondere Weise erlebt: Mit der Musik für einen Tatort, einer Nominierung beim Deutschen Filmpreis und einer Uraufführung in Los Angeles

Von Alexandra Leuthner

Als wäre man in einem 100-Meter-Lauf unterbrochen worden - so beschreibt Martina Eisenreich das Gefühl, das sie im Lockdown hatte. Was sich nicht nur, aber auch auf ihre Arbeit für den Tatort zum 50-jährigen Jubiläum der Krimireihe bezieht, der im November ausgestrahlt werden soll. Zuvor war die Erdingerin mit vielfältigen Verbindungen in den Landkreis Ebersberg noch mit ihrer Familie auf Konzerttour mit der Nordwestdeutschen Philharmonie unterwegs gewesen, in den Orchestersälen von Herford, Paderborn oder Bad Salzuflen. Zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela hatte sie im Auftrag des Sinfonieorchesters das Lieblingsmärchen des südafrikanischen Anti-Apartheidkämpfers und späteren Präsidenten des Landes vertont, für symphonisches Orchester und Schlagwerk. Letzteren Part hatte bei der Konzerttournee ihr Mann Wolfgang Lohmeier übernommen, mit einem reichlich kuriosen Instrumentarium, in dem traditionelle Geräuschinstrumente neben modernem Schlagwerk eine große Rolle spielten. Wochenlang war die ganze Familie - drei Söhne hat das Paar - mit dem Tourbus unterwegs gewesen. Dann kam der Lockdown.

"Zuvor schiebt man Nachtschichten und tut alles, um dran zu bleiben und dann kommt der Stopp." Pause für Konzertauftritte, Drehpause auch für den Tatort und schließlich, vor drei Wochen, auch noch der Tod ihres Schwiegervaters Fritz Lohmeier. Die Musiklegende aus Kirchseeon hatte 2017 den 80. Geburtstag gefeiert. Der begnadete Bassist, Sänger, Gitarrist und Posaunist hatte zunächst mit den Piccolos und später mit den Delicados jahrzehntelang Ebersberger und andere Bühnen bespielt, war zuletzt noch mit seiner Schwiegertochter und ihrem Martina Eisenreich-Quartett als Gastmusiker aufgetreten. Auch hier kümmert sich Wolfgang Lohmeier ums Schlagwerk. In der Familie dreht sich wirklich alles um Musik.

Abgesehen von der Trauer um den Schwiegervater aber gehe es ihr gut, erzählte Eisenreich bei einem Telefongespräch vor ein paar Tagen. Und schließlich habe sie die Zeit des Lockdowns nicht nur genutzt, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Sondern sie ist auch gleich mit mehreren Projekten erfolgreich gewesen. Für das Los Angeles Philharmonic Orchestra habe sie ein speziell für die Corona-Zeit gedachtes Stück geschrieben, das in dieser Zeit auch tatsächlich uraufgeführt wurde. Und dann folgte im Juni die Nominierung für den Deutschen Filmpreis.

Wer die 39-jährige Musikerin nur von der Bühne her kennt, etwa von einem Auftritt mit ihrem Quintett im vergangenen Jahr im Ebersberger Alten Kino, wo sie wie immer mit ihrer Geige zu sehen war, ahnt noch nichts von ihrer eigentlichen Leidenschaft. Die gilt nämlich eher der Arbeit hinter den Kulissen, dem dramatischen, komischen oder spannenden Untermalen von Filmszenen. Wobei ihr eines, wie sie sagt, auf der Bühne und im Studio gleichermaßen wichtig ist: "Ich will die Menschen berühren." Studiert hat sie klassische Kompositionslehre an der Hochschule für Musik und Theater München - wo sie mit 15 Jahren aufgenommen wurde - und danach Komposition für Film und Fernsehen. Schon als Kind habe sie Komponistin werden wollen, erzählt sie, "und das hat mich nie mehr los gelassen". Was ihr neben zahlreichen anderen Auszeichnungen zuletzt gleich die zwei Nominierungen beim Deutschen Filmpreis eingebracht hat.

Martina Eisenreich. (Foto: Christoph Müller-Bombart/OH)

Eine große Show hat es zur Verleihung der Auszeichnungen im Juni coronabedingt nicht gegeben, aber die Ehre neben der Hauptpreisträgerin, der Schweizer Songwriterin Sophie Hunger, gleich zweimal nominiert zu werden, "war eine Riesenehre und ein Riesenerfolg". Eine Statue gab es obendrein. Bereits 2018 hatte Eisenreich als erste Frau den Deutschen Filmmusikpreis in der Kategorie Beste Musik bekommen, damals auch für einen Tatort: "Waldlust" von Axel Ranisch. Diesmal waren es der "Spreewaldkrimi - Zeit der Wölfe" und die Komödie "Endlich Witwer", für die sie ausgezeichnet wurde. Bei beiden Filmen hatte Pia Strietmann für das ZDF Regie geführt, die jetzt auch beim Tatort - dem zweiten Teil des Jubiläumstatorts - das Zepter in der Hand hat.

Ein großes Glück sei es für sie, erklärte Eisenreich, zum wiederholten Male mit der Regisseurin zusammen zu arbeiten, weil sie beide das gleiche Interesse an der dramaturgischen Arbeit leite. Und auch ein großes Einverständnis im Hinblick auf die Musik, was nicht zu unterschätzen ist. "Wenn ich ein Fagott einsetzen will, und der Regisseur sagt, 'ich hasse Fagott', dann muss ich es herausnehmen." Schön also, wenn solche Sachen von vorne herein klar sind. Als Komponistin von Filmmusik lege sie sehr viel Wert darauf, von Anfang an, der Drehbuchphase, in ein Projekt eingebunden zu sein, sagt Eisenreich. "Da hat man nur das Wort da stehen und kann anfangen zu überlegen: Wo könnten die höchsten emotionalen Peaks sein? Welche Themen könnten vielleicht alte emotionale Belastungen des Protagonisten transportieren?" So schön sich das anfühle, sei das aber auch der Moment, "in dem die Anstrengungsspanne am weitesten ist", wie ein Traum, den man hatte und am Morgen wieder fassen möchte. "Das ist dann oft der Moment, in dem ich lieber noch mal meinen Kleiderschrank aufräumen gehe", sagt Eisenreich lachend. Doch der Stress, der Zeitdruck werde für den Komponisten eigentlich erst am Schluss am größten, wenn sich eine Produktion ihrem Ende zuneige, dem sogenannten Picture Lock, in dem der Bildschnitt festgelegt ist. "Sechs bis acht Wochen, in denen man die Partitur schreibt, die Musik eingespielt wird." Zeitdruck ohne Ende also - der im Lockdown plötzlich nicht mehr da war.

Inzwischen habe die normale Arbeit allerdings längst wieder begonnen - alle seien froh darüber, auch wenn sie unter strengen Hygieneauflagen stattfinde. Der Tatort, in dem die Münchner Ermittler Franz Leitmayr und Ivo Batic auf das Dortmunder Team um Martina Boenisch, Peter Faber, Nora Dalay und Jan Pawlak treffen, soll termingerecht ins Fernsehen kommen. In dem als Zweiteiler gedrehten Film, dessen erste Hälfte Dominik Graf als Regisseur verantwortet hat, sollen die beiden sehr unterschiedlichen Ermittlerteams einen Fall von Mafia-Kriminalität aufklären. Das Aufeinandertreffen der beiden Ermittlerteams dürfte interessant werden. Hier der ewig schlecht gelaunte Dortmunder Kommissar Faber, dort der temperamentvolle Batic und sein zutiefst Münchnerischer Partner Leitmayr. Hier die Düsternis Dortmunder Industriebrachen, dort süddeutsches Flair und das humorvolle Gefrotzel der Münchner Ermittler. Und spannend zu hören, wie sich Martina Eisenreichs Musik dazu ausnimmt.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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