Kultur:Ein Paradies für die Fantasie

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Rhythmus wie aus einem Guss präsentieren Philipp Jungk und Alexander Glöggler von "Double Drums" im Alten Kino. (Foto: Christian Endt)

Mit einem schier unendlichen Klangkosmos aus Livemusik und Einspielungen verbinden die Schlagwerker von "Double Drums" im Alten Kino Anspruch mit Unterhaltung

Von Mohamad Alkhalaf, Ebersberg

Von der Bühne dringt das Geräusch splitternden Glases. Zu sehen sind Kartons, Blech- und Plastikeimer, zwei Leitern. Findet hier ein Umzug statt? Wird die Beleuchtung repariert oder gar gemalert? Jedenfalls haben die zwei Männer, die nun die Bühne betreten, Mützen auf, wie um ihre Haare zu schützen. Doch dann beginnen sie, die diversen Gerätschaften mit Trommelstöcken rhythmisch zu bearbeiten und animieren das Publikum zu klatschen. Alle machen begeistert mit. Was wie ein gut ausgerüstetes Heimwerker-Zimmer daherkommt, entpuppt sich allmählich als das Arrangement eines beeindruckendes Percussion-Duos. Mit ihrem neuen Programm "Groove Symphonies" stehen Alex Glöggler und Philipp Jungk, zwei preisgekrönte Percussion-Musiker aus München, erstmals auf der Bühne des Alten Kinos in Ebersberg.

Mit ihren hölzernen Schlagstöcken entlocken die beiden Männer am Samstagabend vor ausverkauftem Haus nicht nur Leitern und Eimern spektakuläre Töne. Sie benutzen alle möglichen Gegenstände, um damit Musik zu machen: Töpfe, Küchengeräte, Kartons, Straßenschilder, Glocken, Gongs - insgesamt spielen die beiden auf 500 verschiedenen Gegenständen. Mit ihrem genialen Gefühl für Rhythmus machen sie nicht etwa Lärm, sondern richtig gute Musik. Der Rhythmus, den die Künstler dabei zaubern, geht in die Beine, so dass man am liebsten tanzen würde.

Plötzlich ist die Bühne ganz dunkel; man sieht nur zwei leuchtende Sticks, die ein Bild in die Dunkelheit zu malen scheinen. Zwischendrin ist ein Geräusch zu hören wie Wassertropfen, wenn sie auf den Boden platschen - so realistisch, dass man die Feuchte im Kragen spürt. Woher kommen sie? Im nächsten Augenblick ist Vogelgezwitscher zu vernehmen, als befände sich die Bühne im Wald: ein Paradies für die Fantasie, von Double Drums gekonnt geschaffen durch einen Klangkosmos aus Livemusik und diversen Einspielungen.

Als nächstes kommt eine grüne Plastikkanne ins Spiel. Eine wie man sie verwendet, um Öl in Lampen zu füllen, und wo der Inhalt Probleme bereiten könnte, wenn man nicht richtig aufpasst. In Syrien fordern die Menschen bei Anti-Assad-Demonstrationen mit lauten Rufen die Regierung auf, ihnen Öl zum Heizen zu geben. Hier im Alten Kino aber ist kein Öl im Spiel, das sich entzünden könnte. Hitzig geht es im Saal trotzdem zu: Einer der beiden Künstler hängt sich einen weißblauen 1860er-Schal um und beginnt, eine Snare Drum zu bearbeiten. Sein Partner findet das nicht so lustig, zumindest seiner Miene nach zu urteilen. Er trägt einen rot-weißen Schal, ein Bayern-Fan also. Er stoppt den 60er-Fan und trommelt nun selbst los, doch auch er wird bald wieder von seinem Kollegen unterbrochen. So folgt ein furioses Solo dem nächsten. Die Zuschauer sind begeistert - egal ob blauer oder roter Gesinnung. Gleichberechtigung, das ist letztlich auch die Botschaft der zwei Musiker: Am Schluss trommeln sie gleichzeitig und lassen die Bühne gemeinsam beben.

Glöggler und Jungk erzählen aber nicht nur humorvolle Geschichten, sie sind in erster Linie begnadete Musiker. Ihre Wurzeln haben beide in der Klassik, nicht umsonst läutet Beethovens berühmte Fünfte den Abend ein, und auch Grieg und Bach kommen zu Wort. Ein zentrales Instrument des Programms ist das Marimbaphon, dessen weich-erdiger Klang inmitten dieses Trommelfeuers für Melodie und choralartige Innerlichkeit sorgt.

Nach der Vorstellung hopsen Kinder an der Ampel vor dem Alten Kino herum und versuchen, es den Künstlern mit Holzstöcken, die sie an die Laternenpfähle schlagen, gleich zu tun. Mit viel Fantasie ist auch das Musik. In Syrien gibt es ein Sprichwort, das besagt: Ein talentierter Instrumentalist entlockt auch einer Untertasse gute Musik. Wer an diesem Abend im Alten Kino war, der hörte den Beweis: Manchmal reicht auch schon ein Plastikeimer.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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