Krönender Abschluss:Lustvoller Blick in den Abgrund

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Charakterisierung um viele Ecken: Die fünf Darsteller des "Metropoltheaters" - Butz Buse, Judith Toth, Philipp Moschitz, Eli Wasserscheid und Mario Andersen (von rechts) - reden über den sechsten, über Gorge Mastromas. (Foto: Christian Flamm/OH)

Mit seiner "Opferung des Gorge Mastromas" beendet das Münchner "Metropoltheater" die 14. Wasserburger Theatertage

Von Theresa Parstorfer

Lustlos war der Zeugungsakt, aus dem Gorge entstand. Das erfährt der Zuschauer gleich in der Eröffnungsszene des Stückes "Die Opferung des Gorge Mastromas", das am Sonntagabend bei den 14. Wasserburger Theatertagen auf dem Programm stand. Vielleicht, weil es der letzte Abend des Theatertreffens war, vielleicht, weil das Münchner Metropoltheater den Bühnenreigen beendete: Der Saal war bis auf den letzten Stuhl und die letzte Treppenstufe voll besetzt. Geradezu atemlos verfolgte das Publikum, wie die sechs Schauspieler in von diesem Ensemble zu erwartender Präsenz zweieinhalb Stunden lang durch das Leben eines Mannes jagten, das die Abgründe menschlicher Sinnfindung und die Komplexität moralischer Entscheidungen in einer schonungslosen Ehrlichkeit zeigt.

Es geht also um Gorge, der auf die Welt kam, weil der Geschlechtsverkehr zwischen seinen Eltern eben schon angefangen und dann auch irgendwie zu Ende gebracht worden war. Gorges Kindheit und Jugend in den 80ern werden abwechselnd von fünf Darstellern erzählt, während Gorge, grandios gespielt von Matthias Grundig, stumm in der Mitte der Bühne sitzt, manchmal die auf Falte gebügelte Anzughose glatt streicht. Die Spielfläche ist dabei durch ein mit flauschigem Teppichstoff überzogenes, flaches Podest etwas verkleinert. Deswegen ist es durchaus schwierig auf der Bühne zu gehen und zu stehen, vor allem in Stöckelschuhen, wie das die Frauen tun müssen, die Gorge im Laufe seiner Lebens liebt oder auch nicht liebt, alle verkörpert von Eli Wasserscheid.

Starke Frauen sind das, doch leiden müssen sie alle, denn nachdem Gorge bis zur Mittelschule ein erstaunlich moralisch handelnder Junge war, verändert sich alles. Als Angestellter einer bankrotten Firma bekommt er von einer weiteren starken, um nicht zu sagen eiskalten Frau, gespielt von Judith Toth, ein Angebot unterbreitet: Überredet er seinen verzweifelten Chef, dem Verkauf der Firma zuzustimmen, will sie ihm die Welt schenken. Ihm zeigen, wie man die Zeit anhalten und die Zukunft voraussehen kann, denn "ich gehöre zu einer ganz besonderen Art von Menschen", sagt sie und legt ihm verschwörerisch den Arm um die Schultern. Menschen, die sich einfach alles nehmen.

Das Unbehagen im Publikum wird nur noch übertrumpft von Gorges eigenem Unbehagen. So klar wie nie zuvor präsentiert sich das Dilemma seines Lebens: "Güte - oder Feigheit?" Immer und immer wieder wird diese Frage von den Darstellern in die Zuschauerreihen geschleudert. Denn nicht eindeutig ist, ob Gorge in der Vergangenheit moralisch gehandelt hat, weil er das so wollte, oder weil er schlicht zu feige war, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

Doch dann steht es vor ihm, dieses unmoralische Angebot: den Boss vor dem Ruin retten - oder aber sich selbst endlich aus der Mittelmäßigkeit heraushieven? Gorge ist feige. Und bekommt Zutritt zur versprochenen Welt, in der er sich nimmt, was er will. "Er lügt, er betrügt, er bumst" sich durch die neugewonnene Freiheit, sagen die Erzählerstimmen. Er wird reich und mächtig, bis eines Tages Luisa beginnt, für ihn zu arbeiten. Eine Frau, die anfangs noch sehr fest auf dem flauschigen Teppichboden steht, sich in jahrelanger Arbeit an sich selbst, in Therapie und Selbsthilfegruppen, vom Trauma ihrer Kindheit befreit hat.

"Noch immer gibt es Bilder von Luisa im Internet", sagen die Erzähler. "Neunjährig, wie ihr Vater sie Sachen machen lässt." Wieder eine Frage ins Publikum: "Sind Sie schon angewidert?" Ja, das Publikum ist angewidert, schockiert, doch auch gefesselt, denn es kommt noch schlimmer: Gorge schafft es. Nach anfänglicher Zurückweisung findet er Luisas "Knöpfe", behauptet, auch er sei Missbrauchsopfer des eigenen Vaters gewesen. Er belügt, er betrügt und schließlich bumst er sie. Liebe nennen sie das, heiraten, sprechen von Kindern und Gorge schreibt eine Autobiografie: "Nein Papa, bitte nicht", heißt sie. Ein riesen Erfolg. Damit die Wahrheit über seine Lüge nicht herauskommt, scheut er selbst vor Brudermord nicht zurück.

Die simpel gehaltene Ausstattung in Jochen Schölchs Inszenierung beweist nicht nur, wie brillant das Ensemble des Metropoltheaters mit den eigenen darstellerischen Möglichkeiten umzugehen weiß, sondern gibt dem kraftvollen Text des britischen Drehbuchautors Dennis Kelly genügend Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig ist das so eine Produktion, an der deutlich wird, dass sogar schwere Themen wie die Frage nach dem Wesen der Moral erzählt werden können, ohne dabei die Lust am Theater zu verlieren.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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