Kritik:Die Seele des Saxofons

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Jesse Davis, Altmeister am Saxofon, nimmt seine Musikerkollegen mit durch ein umjubeltes Konzert und lässt Routiniers wie Martin Zenker am Bass genug Raum zur Improvisation. (Foto: Christian Endt)

Jesse Davis feiert mit einem großartigem Konzert seinen vierten Auftritt im Landkreis

Von Claus Regnault, Grafing

Jesse Davis, der großartige Altsaxofonist aus New-Orleans-Geblüt, war nun zum mittlerweile vierten Mal in der Region, zweimal in Ebersberg und zweimal in Grafing. Er ist ein wahrhaft großartiger Jazzsolist, der diesmal in der gut gefüllten Stadthalle Grafing auftrat. Schon seine Erscheinung erweckt Vertrauen, ja mehr noch, Davis lässt das Gefühl von Gemütlichkeit aufkommen mit seiner rundlich-väterlichen Ausstrahlung.

Und in seinem überspringenden Humor findet er eingangs lobende Worte für seine Mitspieler: den wegen eines Unfalls von Paul Kirby eingesprungenen Claus Raible am Piano, den Südkoreaner Kim Minchan am Schlagzeug und vor allem für jenen, den Jazz in die weite Welt tragenden und nach Talenten durchforstenden Martin Zenker aus Kirchseeon am Bass, dem die Ebersberger die internationale Bereicherung ihrer Jazzszene zu verdanken haben.

Jesse Davis ist ein Ausnahmemusiker, der mit seinem strahlend vorgeführten Altsax sowohl Jazz-Geschichte als auch Jazz-Gegenwart überzeugend repräsentiert. Seine improvisatorische Kunst, so beredt sie Jazz-Geschichte zwischen Charly Parker und Cannonball Adderly in durchaus persönlicher Weise zu vermitteln versteht, ist Seelenmusik, die bei aller Perfektion menschlich berührt, den Zuhörer sofort gefangen nimmt. Er ist sowohl ein großer Repräsentant seiner Herkunft aus New Orleans als auch Verkünder der Gegenwart dieser Musik.

Seine Mitspieler standen denn auch hörbar unter seinem väterlichen Einfluss, fühlten sich geführt in eine musizierende Einheit. Für die Vertretung, Raible, war es nicht ganz leicht, sich in diese aus Swing und Soul geformte Sprache einzufügen, ist er doch ein Protagonist des Bebop, der freilich auch bei Davis mitsprechen darf. Sein Spiel war daher weniger druckvoll als gewohnt, blieb in gewohnten Bebop-Phrasen hängen, steigerte sich aber vor allem im Akkordspiel über "Polkadots and Moonbeams" zu überzeugender Kraft. Bassist Zenker konnte sich in ausgedehnten Improvisationen entfalten, sein virtuoses Spiel brachte tonreiche Fülle, aber ließ seinem Instrument wenig Luft zu ruhigem Atem. Minchan erwies sich als souverän gewachsener, die Vielfalt rhythmischer Patterns sparsam einsetzender Drummer, der mit gelassener Aufmerksamkeit auf die improvisatorischen Bewegungen seiner Mitspieler antwortete.

Ebenso unerwartet wie bezaubernd dann die Gesangseinlage der inzwischen in München studierenden Mongolin "Enji" Erkhembayar Enkhjargal, die sich im wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem zierlichen Leib sang - ein erstaunliches Beispiel dafür, wie ein weit vom Ursprung des Jazz entferntes Volk die emotionale Sprache und Phrasierungsgestaltung dieser Musik in einen gänzlich eigenen Ausdruck verwandeln kann. Auch hier ist die prägende Hand Martin Zenkers zu spüren, der als Jazzprofessor das ferne Ulan Bator für diese Musik gewonnen hat. Ein großer Abend, vom Publikum stürmisch bejubelt, der durchaus den Gedanken nahelegt, dass sich Ebersberg und Grafing alsbald auf die Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Jesse Davis einigen sollten.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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