Kritik:Altinger und Liegl sind wie Nitro und Glycerin

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Schwer zu sagen, wer von den beiden Kindsköpfen der größere Spitzbub ist. Über eine kongeniale Koproduktion aus Wasserburg und Kirchseeon im Alten Kino.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die Protagonisten haben ein gemeinsames Leiden: Mid-Burn-Life-Out-Crises. "Das hat man heute so." Wie soll es auch anders sein, wenn man es gemeinsam nunmehr auf ein volles Jahrhundert bringt. Wie verkraftet man das? Eine neues Frau vielleicht? Zum Beispiel die fesche Chauffeurin Isabel? An ihr sind jedenfalls beide Bühnenfiguren interessiert, der mit den längeren Haaren, und der mit den kürzeren. "Ich bin ein Romantiker, dass' grad so pfeift", meint der eine. "Man muss auch mal zu einer schönen Frau mit einer schönen Stimme sagen können: Jetzt hoit dei Mei und schau auf'd Straß", erklärt der andere. Da donnert der Saal - das Publikum verkraftet die kriselnden Bühnenkünstler unheimlich gut.

Es war erst die zweite Kostprobe von "Halali - Die besten Nummern der letzten Jagdausflüge", Premiere war kürzlich im Münchner Lustspielhaus. Umso mehr war zu erkennen, dass diese beiden es miteinander können. Vor 200 Gästen im ausverkauften Alten Kino in Ebersberg legten Alexander Liegl und Michael Altinger am Freitagabend einen Auftritt hin, der so gut wie alles hatte, was eine Kleinkunstbühne braucht. Dichtend und streitend, singend und tanzend, versöhnend und zankend führten die beiden Kabarettisten durch den Abend. Mal verließ der eine beleidigt die Bühne, mal verwies er den anderen von derselben. Ein normaler Mensch würde diese rasante Fahrt auf der zwischenmenschlichen Achterbahn sicherlich nur mit einer gehörigen Dosis Baldrian durchstehen. Altinger und Liegl schaffen das so.

Wahrlich schwer zu sagen, wer von den beiden Kindsköpfen der größere Spitzbub ist. Der 47-jährige Wasserburger Altinger? Oder der 53-jährige Kirchseeoner Liegl? Im Alten Kino bemühten sich beide redlich darum, den anderen auszustechen. Etwa bei einer Krimi-Lesung, die sie zwar gemeinsam vornahmen, jedoch stets darauf bedacht, selbst aufzutrumpfen. Liegl machte mit einer seriösen Tagesschau-Sprecher-Stimme den Anfang, das überraschte nicht wenige, bei all den vorhergegangenen Blödeleien. Und Altinger?Der verzog sein Gesicht zu einer Marlon-Brando-Gedächtnis-Grimasse und sagte: "Eine Minute früher in dieser miesen Hafenspelunke und ich hätte diesen Dreckskerl gehabt." Unschlagbar.

Auf der Bühne knallt es - das gibt ihrer Kabarettisten-Beziehung Raum

Eines von Liegls Glanzstücken ist sein Solo als einsamer Schäfer. Er steht mit einem riesigen Hirtenstab und Pelzweste auf der Bühne und erzählt von der Freiheit auf dem Feld und der frischen Luft und seinen Schafen. Was zunächst banal klingt, entfacht alsbald große Wucht: Plötzlich schwenkt Liegl um und berichtet in monotoner Stimme, "wie unglaublich langweilig" sein Beruf ist, so langweilig, dass es nicht mal geholfen habe, als er alle Schafe gelb anmalte. Das ist so absurd und komisch, dass einige im Publikum kaum mit dem Schnaufen hinterherkommen.

Schwächen hat dieses zweistündige Best Of nicht wirklich. Möchte man doch etwas finden, wäre vielleicht der ein oder andere absichtliche Versprecher Liegls verzichtbar oder die etwas zu gewollt wirkenden Erinnerungslücken Altingers, wenn er seine "besonders persönlichen Songs" anmoderiert. Aber selbst hier musste man schon genau hinschauen, um vereinzelte irritierte Gesichter im Ebersberger Publikum zu entdecken.

Und dann der nächste Knaller: Beide auf der Bühne, Altinger steht vorne und versucht zu erzählen, wie die Großmutter nach der Schönheits-OP zu einer "20-jährigen Schnoin mit Hackelstecker" wurde. Hinten steht, fast abwesend wirkend, Liegl. Er lässt immer wieder kurze Kommentare fallen, Halbsätze, in denen aber mitschwingt, dass irgendwas Spannendes passiert ist. Der Zuhörer interessiert sich nun schon gar nicht mehr für den, der vorne steht, und so drängt Liegl seinen Partner gnadenlos in den Backstagebereich des Alten Kinos, ehe er von seiner Furcht berichtet, dass er als Pferd des fetten Ritters Kajatan wiedergeboren wird.

Vielleicht ist genau das die Stärke des Duos: Wenn sie zu zweit auf der Bühne stehen, sind Altinger und Liegl wie Nitro und Glycerin, oder wie sie es ausdrücken, "wie Horst und Markus". Zwar ist ihr Programm in keinem Teil politisch, der Vergleich passt aber trotzdem, eben, weil es in ihrem Zusammenspiel immer wieder zum großen Knall kommt und einer die Bühne verlässt. So geben die beiden ihrer Kabarettisten-Beziehung Raum.

Und so ist auch Platz für einen Altinger-Klassiker, seine kongeniale Ergründung, wie alt ein Huhn wird, wenn man es nicht schlachtet. Das will ein Bub auf einem Hof erfragen und bringt die Bauersleute schier zur Verzweiflung, erst die Bäuerin, dann den Bauern, und schließlich den Altbauern. In seinem vierminütigen Exkurs vereint Altinger drei Figuren in sich und grenzt sie durch unnachahmliche Mimik, Gestik und Stimme voneinander ab. Auf Youtube ist der Clip seit Jahren der Renner - und im Alten Kino schüttelt es die Zuschauer nochmal so richtig durch.

Am Ende bebt der Saal und es bleiben nur zwei Fragen offen: Wie alt ein ungeschlachtetes Huhn tatsächlich wird. Und ob die Chauffeurin nun lieber Alexander, den Romantiker herumkutschierte, oder Michael den Grobian.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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