Konzertkritik:Sein ist der ganze Saal

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Heinz Rudolf Kunze zeigt in Ebersberg, dass er ein großartiger Liedermacher ist. Der 61-Jährige rockt die Bühne drei Stunden lang mit Gitarre, Piano und intelligenten Texten - ganz alleine

Von Anja Blum

Mit Auftritten von Prominenten ist das ja so eine Sache: Die Fans sind freilich hingerissen - doch beruht die Liebe auf Gegenseitigkeit? Das bleibt ungewiss, meistens jedenfalls. Am Mittwoch im Alten Speicher war sehr schön zu beobachten, wie manchmal doch eine Freundschaft zwischen Künstler und Publikum entsteht. Wie Verehrung und Begeisterung auf der einen und Dankbarkeit und Respekt auf der anderen Seite hervorrufen. Da konnte einem richtig warm ums Herz werden, und zwar ums ganze.

Zu Gast war Heinz Rudolf Kunze, ein Urgestein der deutschen Musiklandschaft. Und er bewies, dass er einer der Großen ist, ein Liedermacher erster Güte, ein Meister des Wortes und der Akkorde. Unter dem Titel "Einstimmig" ist Kunze momentan solo unterwegs, das erste Mal, sonst hat er immer seine Band dabei. Doch die braucht es gar nicht, Kunze macht auch solo richtig Alarm, er hat das Charisma, die Energie und das Repertoire, um einen Abend alleine zu bestreiten. Drei ganze Stunden, ohne Pause, bespielt der 61-Jährige den Alten Speicher, beackert Gitarre und Klavier, als gebe es kein Morgen, und pflügt mit seinen Texten durch das Leben. Von Alterserscheinungen oder gar Abschiedsgedanken keine Spur.

Klar wird auch: Kunze auf seinen berühmtesten Titel zu reduzieren - "Dein ist mein ganzes Herz", eine Zeile, die furchtbar nach Schnulze klingt und obendrein aus der Operette "Land des Lächelns" von Franz Lehár stammt - würde diesem Künstler absolut nicht gerecht. Die Oberflächlichkeit des Schlagers sei ihm völlig zuwider, erzählt er. Kunze, der einst Philosophie und Germanistik studierte, schreibt Texte mit Tiefgang, selbst seine Moderationen sind keine Ansagen im herkömmlichen Sinn, sondern kleine Kunstwerke, Gedichten gleich. Die Hostessen in seinem "Erlebnispark Alltag" etwa tragen hübsche "Warteschleifen im Haar", Auskünfte geben sie nicht. An diesem Abend jagt ein sprachliches Bild das nächste, so dass schon fast der Overload droht.

Ganz kritischer Geist bespielt Kunze meisterlich die Klaviatur der Emotionen, er echauffiert sich, polemisiert, trauert, verzweifelt und hofft. Das Themenspektrum reicht vom Politischen bis hinein ins Privateste: Entmündigung, Überwachungsstaat und alternativen Fakten beleuchtet er ebenso wie Liebe und Leid in Beziehungen. Der gemeinsame Nenner all seiner Texte ist schonungslose Ehrlichkeit. Jede vermeintliche Idylle wird demontiert, jeder Verdrängungsversuch aufgedeckt. Selbst die Liebe verortet Kunze oftmals ganz nah am Scheitern: "Ich hab's versucht, dir Glück zu bringen - und war doch der Dorn in deinem Auge", und manchmal bleibt einem am Ende gar "Nur eine Fotografie". Kunzes politische Parole lautet "Aufrecht bleiben bis zuletzt" angesichts "all dieser grassierenden Blödheit", gegen die "Menschenschänder aller Herren Länder". Und in Sachen Religion wirbt Kunze für Toleranz: "Jeder bete für sich allein, dann müsste doch endlich mal Ruhe sein". Umso schlimmer, dass sein Lied "Willkommen liebe Mörder" von Pegidaanhängern okkupiert wurde. So manche Zeile ist tatsächlich unglücklich formuliert, ja, doch Kunze macht in Ebersberg klar, dass sich sein Protest nicht gegen Migranten, sondern gegen Rechts richte: "Die Allianz der Ränder bedroht die stumme Mitte" - dagegen gelte es, endlich aufzubegehren.

Auch so manches Autobiografisches hat Kunze im Gepäck, er singt übers Älterwerden, teilt Erinnerungen an seine Kindheit als Außenseiter namens "Brille": "Die Augen weit wie'n Scheunentor für stille Zwischenräume. Die Dinge interessier'n ihn nicht, nur ihre langen Schatten, und was sie seinem Märchenkopf an Einsamkeit gestatten". Hier, selten bei Kunze, gibt es ein Happy End: "Träumer sind Gewinner", singt er, und "Du bist besser dran Brille, besser als der Rest. A-Dur und vier Viertel, und Rock 'n' Roll als Härtetest. Die andern schon scheintot, Du springst aufs Podest".

Kunzes Musik ist so weit gefächert wie seine Themen, mal rockig, mal funkig, mal geradezu symphonisch, die Melodien teils von echter Ohrwurmqualität. Mit seiner Stimme geht Kunze gekonnt um, er nutzt sie fürs Erzählen, klingt je nach Bedarf weich, flehentlich oder markig, der Text bleibt stets verständlich. Beim Lied "Deutschland" fordert er das Ebersberger Publikum auf, mitzusingen: "Jeder gute Deutsche hat sich an dir gerieben, denn so einfach ist es nicht, dieses Land zu lieben". Eine Premiere sei das gewesen, sagt Kunze merklich bewegt, "Dankeschön, das war toll!" Bei "Dein ist mein ganzes Herz" steht der Saal, auch nach zwei Zugaben ebbt der Applaus noch nicht ab. "Das ist lieb von euch", sagt Kunze - und setzt sich nochmal ans Piano. "Jetzt mal ne ernsthafte Frage: Wie klingt das Klavier?", will er wissen, er teste es nämlich gerade. "Scheiße!", ruft einer rein, der Saal lacht, am Ende einigt man sich auf ein gnädig-bayerisches "basst scho". Ein Urteil, das das Instrument eigentlich nicht verdient hat.

Die Dramaturgie des Abends ist ausgefeilt: Kunze mischt Lieder aus seiner Anfangszeit mit Hits und brandneuen Songs: "Meine eigenen Wege" von 1988 zum Beispiel löst Begeisterung aus - das sei wie bei einem Scheinriesen, witzelt Kunze: "Je weiter die Lieder weg sind, desto besser kennt ihr sie". Doch auch "Herzschlagfinale" vom gerade erschienen Album vermag zu überzeugen. Trotzdem bleiben Wünsche offen: Dies und jenes Lied habe noch gefehlt, klagt eine Frau im Hinausgehen. Auf die Bemerkung ihres Begleiters, dass es doch nun gereicht habe, antwortet sie im Brustton der Überzeugung: "Ich hätte noch lange ausgehalten!"

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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