Konzert in Kirchseeon:Der schönen Müllerin neue Kleider

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Andreas Hirtreiter (rechts) und Benno Scharpf stecken im evangelischen Gemeindezentrum Kirchseeon die "Schöne Müllerin" in neues Gwand. (Foto: Christian Endt)

Der Tenor Andreas Hirtreiter hat eine behutsame und respektvolle Neufassung des Schubertschen Liederzyklus geschaffen

Von Rita Baedeker, Kirchseeon

Darf ein Sänger das? Schuberts Liederzyklus von der "Schönen Müllerin" bearbeiten, neue Melodien dazu erfinden, ihn um Motive anderer Komponisten erweitern? Zu Schuberts Zeit nahm man es nicht eben genau mit der Werktreue, heißt es im Vorwort zu einem Notentext der Lieder. Es lägen "glaubwürdige Beweise vor, daß Schubert mit diesen Zutaten keineswegs einverstanden war und über die Eigenmächtigkeiten der Sänger klagte", heißt es darin. Was er zur Eigenmächtigkeit des Sängers Andreas Hirtreiter gesagt hätte, kann man nicht wissen. Vorstellbar aber ist, dass den Komponisten die klugen und behutsamen, das Original niemals verleugnenden Eingriffe Hirtreiters angenehm überrascht hätten.

Andreas Hirtreiter gehört dem Chor des Bayerischen Rundfunks an, unter anderem ist er als Bassist, Schlagzeuger und Komponist tätig. Der Zyklus begleite ihn schon lange, erzählt Hirtreiter in der Einführung zu seinem Konzert "Die schöne Müllerin in neuem Gewand" am Sonntag im Saal der evangelisch-lutherischen Kirche in Kirchseeon. Irgendwann habe er die Idee gehabt, eine eigene Fassung zu schreiben. Nur etwa zwei Dutzend Besucher sind zur musikalischen "Modenschau" gekommen. Dabei hätten Hirtreiter und der dem Ensemble der Singphoniker angehörende, fabelhaft gestaltende Pianist Berno Scharpf ein volles Haus verdient gehabt.

Der Dichter Wilhelm Müller, Zeitgenosse Schuberts, erzählt in seinen Gedichten von einer unglücklichen Liebe. Ein Wanderbursche, der schicksalsergeben dem Lauf eines Bächleins folgt, gelangt zu einer Mühle. Dort findet er Arbeit, verguckt sich in die Tochter des Hauses, hofft, schmachtet, leidet und muss sich irgendwann eingestehen, dass das Mädchen den schmucken Jäger im Kopf hat. Ständiger Begleiter seiner von Zerrissenheit kündenden inneren Monologe ist der Bach, der ihn tröstet und ihm letztlich anträgt, das müde Haupt im tiefen Nass zur letzten Ruhe zu betten.

Eine sehr romantische, eine tragische Geschichte, die allerdings eine ironische Brechung durch Prolog und Epilog erfährt, den von Hirtreiter ebenfalls vorgetragenen, nie vertonten Rahmentext Müllers. Als Begleitung wählte Hirtreiter Stücke anderer Komponisten: für den Prolog Musik von Fanny Hensel, in deren Schwester Luise der Poet Müller unglücklich verliebt war, und für den Epilog das kleine Präludium in C von Johann Sebastian Bach. Als "funkelnagelneues Spiel, schlicht ausgedrechselt, mit edler deutscher Roheit aufgeputzt", so charakterisierte Müller darin die folgenden Verse.

Hirtreiter und Scharpf lassen diese Ironie in manch spöttisch-frecher Interpretation aufleuchten. "Eine Liaison mit der Musik Schuberts" wollte er schaffen, sagt Hirtreiter, eine "zweite Sichtweise" - kommentierend, kontrastierend, überhöhend. Herausgekommen sind wechselnde, jedoch harmonische Zweierkisten und Dreiecksbeziehungen. Der Sänger, der stimmlich und mimisch ausdrucksstark auftritt, baut respektvoll auf Schuberts Klangsprache auf, wenn er das Bächlein nach Akkorden von Bach plätschern, die Räder der Mühle noch lauter klappern, und die Steine, die bei Schubert tanzen, disharmonisch rumpeln lässt.

Auch Zitate anderer Komponisten fügen sich harmonisch ein. Da eröffnet das Klavierkonzert von Edward Grieg Schuberts "Feierabend", da erklingt in dem Lied "Der Neugierige" ("ich frage keine Blume, ich frage keinen Stern") das Kinderlied "Weißt du, wie viel Sternlein stehen?". Und da stimmt Scharpf in der Klage "wo ein treues Herz in Liebe vergeht" passenderweise Fritz Kreislers "Liebesfreud - Liebesleid" an.

Drei der Müller-Gedichte hat Hirtreiter ohne Vorlage vertont, sie zeugen vom sensiblen Klangempfinden des Sängers. Bei zweien der Schubertlieder hat er eine neue Fassung geschrieben. Überaus gelungen ist ihm das bei "Mein", dem Lied, in dem der Verliebte sich schon im siebten Himmel glaubt. Hirtreiter hat zu dem Text einen fetzigen Tango komponiert, der die Zuhörerschaft begeistert. Der "Tränenregen" hingegen, der ist schon im Original an Klangkunst und Dramatik nicht zu überbieten.

Das Konzert "Die schöne Müllerin im neuen Gewand" zeigt auch wieder einmal, dass Johann Sebastian Bachs Musik zu jedem Anlass und, um im Bild zu bleiben, in jeden Kleiderschrank passt. Und die Antwort auf die Eingangsfrage lautet: Ein Sänger, der mit Schuberts Musik und Müllers Dichtung so respekt- und liebevoll verfährt wie Andreas Hirtreiter, ja, der darf das! Viel herzlicher, verdienter Applaus dafür.

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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