Konzert im Alten Kino:Wo der Geist weht und das Herz klopft

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"Wir spielen nicht füreinander, sondern für euch!", scheint "Dreiviertelblut" mit seiner Anordnung im Alten Kino sagen zu wollen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Dreiviertelblut" bringt in der "Diskothek Maria Elend" Mundart und Klangfarbe mitreißend in Einklang

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Kaum haben die Sieben von Dreiviertelblut auf der Bühne im Alten Kino Platz genommen, zeichnet sich schon ab, dass dieser Auftritt aus dem Rahmen des Üblichen fallen wird: Wie eine Bigband ordnen sich die Musiker an, direkt dem Publikum zugewandt, den Leader und Sänger Sebastian Horn im Mittelpunkt. Die Botschaft ist klar: Wir spielen nicht füreinander, wir spielen für euch! Will doch einmal einer mit seinen Mitspielern Kontakt aufnehmen, dann braucht es dazu eine eigene Bewegung, einen zusätzlichen Aufwand. Warum das wichtig ist? Weil die Band damit ihre Musik umso nahbarer macht.

Eigentlich bräuchten sich Dreiviertelblut gar keine solch Mühe machen, denn der Saal, bis auf den letzten Platz gefüllt, die Luft zum Schneiden, versammelt eine Gemeinde, die man nicht mehr Fans nennen sollte, sondern als Freunde und Familie bezeichnen darf. Dass Auftritte in einem solchen Umfeld keine Selbstläufer sind, hat man schon oft genug erlebt. Eher geraten sie zu Gratwanderungen zwischen Anspruchsdenken und künstlerischer Freiheit. Aber auch da lässt sich das Septett, das "folklorefreie Volksmusik" verspricht, nicht heimelig vereinnahmen, sondern folgt, passend zum Programmtitel "Diskothek Maria Elend", dem bewährten DJ-Prinzip: Wer auflegt, schafft an. Weshalb sich auch alle bis zum Ende der Zugaben bis zum "Deifedanz" gedulden müssen, weil er sich dann erst in die sorgfältig aufgebaute Dramaturgie des Abends fügt.

Auch wenn die Atmosphäre so locker und die Musik so lebensfroh ist, dass man sich über die überschaubare Zahl der tanzenden im Saal wundern müsste, böte das Alte Kino überhaupt Platz dafür - was die Dramaturgie und den Erzählbogen der Melodien angeht, ist das bayerische Septett musikalisches "Vollblut" in jeder Hinsicht. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen, da gibt es keine Wackler oder Zögerer. Das Repertoire sitzt in einer Qualität, wie es nur sein kann, wenn die Interpreten leben, was und wie sie spielen. Das wird bei den sagenhaften Trompetensoli von Dominic Glöbl genauso spürbar wie bei den fliegenden Instrumentenwechseln vom Bass zur Tuba bei Benny Schäfer oder von der Klarinette zum Moog bei Florian Riedl. Ohne großes Aufheben passiert das, mit der Souveränität eines Operateurs am offenen Herzen. Auch die Art und Weise, wie Luke Cyrus Goetze sein Portfolio an E-Gitarren zum Klingen bringt oder Florin Mück am Schlagzeug den Pulsschlag bestimmt, sind von genau jener Eleganz und Selbstverständlichkeit, die Lockerheit und Perfektion in Einklang bringt.

Wer die Ohren spitzt und sich an den Nebentischen etwas umhört, der fängt viele Bemerkungen wie diese ein: "Da klingt Tom Waits mit", "Das könnte von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung sein", "Das erinnert mich an Wolfgang Ambros". Alles richtig und falsch zugleich. Denn Dreiviertelblut hat es beim versammelten Können seiner sieben Herzschrittmacher nicht nötig, Anleihen bei anderen zu nehmen. Das Septett ist Manns und Musikers genug, um seine eigenen Ideen zu haben und umzusetzen. Wobei einer wie Sebastian Horn kein Hehl daraus macht, wo sich Vorbilder finden und die Inspiration herkommt. Als er Ludwig Hirschs "I lieg am Ruckn" anstimmt - 40 Jahre hat das Lied inzwischen auf dem Buckel - da ist das weder Kopie, noch Interpretation, sondern ein liebevolles Nachempfinden eines Lieds, das zu den wahren Evergreens jener bayerischen Volksmusik zählt, wie sie nie in Hitparaden auftaucht, aber Herzen höher schlagen lässt.

Die größte Kostbarkeit dieser Band funkelt indes dort, wo der Geist weht. Kritisch, unbeugsam, menschennah - ob nun Gerd Baumann ein skurriles Dramolett von der nasenhaarigen Prinzessin in die Fantasie seiner Zuhörer entlässt oder ob Horn dem Sinn und Unsinn des Lebens mal kräftige, mal zärtliche Worte gibt: Dreiviertelblut bewegt sich im Herzschlag des Universums wie des Individuums und findet Worte, wo Töne allein zu kurz griffen. Diese Band spielt denn auch auf einem Niveau, bei dem es Untertreibung wäre, von "Texten" zu sprechen. In der Perfektion, wie sie bei jedem einzelnen Lied Mundart und Klangfarbe aufeinander abstimmen, taugen sie als Vorbilder bei Lyrik wie Melodik. Zumal sie sich mit Eleganz und mitreißender Präsenz durch Gedanken- und Klangräume bewegen. Für das "Links blinken, rechts abbiegen", das sie zum immer wieder verblüffenden Prinzip ihres Spiels mit Akkorden, Tempi und Rhythmen erkoren haben, verdienen sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Publikums - und genau den hingebungsvoll begeisterten Applaus, den sie am Donnerstag im Alten Kino wagenweise eingefahren haben. Vier Zugaben, da muss selbst das verwöhnte Ebersberger Publikum begeistert sein.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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