Kommentar:Zu viel Schatten

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Obdachlosigkeit betrifft immer mehr Menschen im Landkreis - doch die Hilfe kommt nicht voran

Von Wieland Bögel

Jetzt sind also wieder mal die 20er Jahre angebrochen, was viele zum Anlass nehmen, sich mit den 20ern des vergangenen Jahrhunderts zu beschäftigen. Solche Analogien sind ja immer mit Vorsicht zu genießen, manches lässt sich aber getrost in die Gegenwart übertragen. Etwa die Liedzeile aus der Ende der 1920er entstandenen Dreigroschenoper, wo es heißt: "die im Dunkeln sieht man nicht". Ein Satz, der bis heute Gültigkeit hat, viele Menschen, die im Dunklen stehen, also in einer Notlage sind, sind quasi unsichtbar. Etwa Obdachlose, von denen es auch im reichen Landkreis Ebersberg immer mehr gibt und für die es dringend bessere Hilfsangebote bräuchte.

Wie viele Personen davon betroffen sind, zeigt der Anstieg der sogenannten Wohnungsnotfälle. Dabei geht es um Menschen, die sehr kurzfristig von Obdachlosigkeit bedroht sind, etwa weil eine Zwangsräumung der Wohnung bevorsteht. Dann müssen Kommunen und die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit des Landkreises schnell eine Lösung finden - oder eine Unterkunft. Wie Statistiken seit Jahren zeigen, ist die Zahl dieser Fälle stark gestiegen. Waren es zu Beginn des nun auch schon nicht mehr so neuen Jahrtausends noch im Schnitt weniger als Hundert im Jahr, schwankt die Zahl mittlerweile im mittleren dreistelligen Bereich. Was im übrigen nichts mit Flüchtlingen und Zuwanderern zu tun hat, der größte Anstieg war in den ersten drei Jahren des vergangenen Jahrzehnts zu verzeichnen. Auch die Kommunen, die jene Menschen unterbringen müssen, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben, beschreiben eine ähnliche Entwicklung. Kaum eine kommunale Unterkunft hat noch Plätze frei. Nicht zuletzt, so berichten es die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden, sind auch die Betroffenen andere als noch vor 15 oder 20 Jahren. Damals waren es vor allem alleinstehende Männer mittleren Alters, inzwischen betrifft Obdachlosigkeit auch Familien und immer mehr Ältere. Hauptgrund ist der überhitzte Immobilienmarkt, wer einmal die Wohnung verliert, findet so schnell keine neue. Die Folge ist, dass Menschen nicht nur aus ihrem Heim, sondern auch aus ihrem Umfeld, ja letztlich aus dem Leben verschwinden: Wer nicht wohnt, den gibt es auch nicht. Was besonders für Menschen in Lebenskrisen maximal kontraproduktiv ist.

Die vor fünf Jahren entstandene Idee, interkommunale Unterkünfte zu schaffen, wo es auch Betreuung für die Bewohner gibt, war daher grundsätzlich gut - von der Umsetzung kann man das indes nicht unbedingt behaupten. Schon der ursprüngliche Plan, zwei zentrale Anlaufstellen, eine im Norden und eine im Süden des Landkreises, zu schaffen, wurde nie verwirklicht, da sich im Norden keine geeignete Immobilie finden ließ. Und dass dies in Ebersberg zumindest drei Jahre lang möglich war, erscheint inzwischen eher als Zufall, eine soziale Anomalie gewissermaßen. Auch gut neun Monate seit der Schließung der Unterkunft in Ebersberg ist kein Nachfolgestandort in Sicht - eine Notwendigkeit die weniger drückend wäre, hätte man die geplante zweite Unterkunft jemals eröffnet. Und so bleibt für die Betroffenen oft nur ein Zimmer im gemeindlichen Obdachlosenasyl, in einer Pension oder an sonst einem Ort, der vielleicht nicht dunkel sein muss, an dem man aber trotzdem nicht gesehen wird.

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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