Kommentar:Von der Straße ins Netz

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Das Bündnis "Bunt statt Braun" hat viele Menschen für die Gefahren des Rechtsradikalismus senisbilisiert. Das wird auch weiterhin nötig sein ebenso wie neue Mittel und Wege dazu

Von Thorsten Rienth

Es sind vor allem zwei Aktionen, die von bald 15 Jahren "Bunt statt Braun" hängen bleiben: Die Lichterkette mit mehr als 3000 Menschen für den wegen Morddrohungen zurückgetretenen Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende im Frühjahr 2016. Und die 500 Leute, die das Bündnis wegen weit weniger akutem, nämlich Nazi-Schmierereien am Grafinger Gymnasium, drei Jahre später binnen Tagen in Ebersberg auf die Straße brachte. "Das breitest mögliche demokratische Spektrum" hatte Landrat Robert Niedergesäß (CSU) das Bündnis damals genannt. Was für eine treffende Beschreibung angesichts des bunten und trillerpfeifenden Zugs aus Trachtlern, Punks, Kirchgängern, Atheisten, Konservativen, Liberalen, Linken, Öko-Radlern und SUV-Fahrern. Einige dürften sich zum ersten Mal im Leben so nah gekommen sein. Und, da es schließlich gegen Neonazis ging, hoffentlich nicht zum letzten Mal.

Dass die Bedrohung von ganz weit Rechtsaußen zunimmt, ist jedenfalls keine Phobie von linksgrünen Sozialismusromantikern. Dem aktuellen Verfassungsschutzbericht zufolge wuchs das rechtsextreme Spektrum im vergangenen Jahr um rund 1200 Anhänger auf insgesamt 33 300. Das Potenzial der Gewaltorientierten sei im gleichen Zeitraum um einige Hundert auf 13 300 Personen gewachsen. Den Anstieg an Gewalttaten von Neonazis und anderen Rechten beziffert der Verfassungsschutz auf rund zehn Prozent.

Nur den "Bunt statt Braun"-Verteiler anwerfen und auf die Straße zu gehen, wird perspektivisch nicht genügen. Laut Verfassungsschutzbericht nehmen die Aktivitäten rechter Netzwerke zu, professionalisierten sich. Vor dieser Entwicklung hatten Kreisjugendring (KJR) und Ebersberger Jugendtreff (AJZ) erstmals im Dezember 2019 berichtet. Gerade mit der Pandemie hätten sich neonazistische Umtriebe nahezu vollständig in die digitale Welt verschoben, erklären sie nun. Aus den Berichten ist also binnen eineinhalb Jahren eine echte Warnung geworden. Viel spricht also dafür, dass die neue "Bunt statt Braun"-Generation zumindest einen Teil ihrer Aktivitäten wird verlegen müssen - von der Straße ins Netz.

© SZ vom 25.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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