Kommentar:Stadt, Land, Frust

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Eine sinnvolle Gewerbestruktur für die Region lässt sich zwar nur interkommunal entwickeln. Trotzdem darf die Stadt München ihre Probleme nicht einfach den Parsdorfern aufzwängen, indem sie Gewerbe und Wohnraum dorthin verlagert

Von Wieland Bögel

Zieht es den Städter raus aufs Land, geht er der dortigen Bevölkerung oft gehörig auf den Geist. Das ist heute noch so richtig wie zu Zeiten, als die ersten Touristen die Natur um ihre Städte wahrzunehmen begannen. Doch im Gegensatz zur Zeit Wilhelm Buschs geht es nicht mehr um einen halbwegs komischen Konflikt zwischen spleenigen Sommerfrischlern und den hart arbeitenden Bewohnern seines Ausflugsziels. Heute kommt der Städter aufs Land und bringt seine Stadt gleich mit. Dass sie das nicht ansatzweise lustig finden, haben die Parsdorfer klar gemacht.

Dort hatte nicht nur die Münchner Großmarkthalle Interesse an einem Standort angemeldet, sondern auch die Stadt München selbst. Auf einem Grundstück im Ort sollten etwa 70 Sozialwohnungen entstehen. Aber nicht etwa für Parsdorfer - von denen es ja auch nur insgesamt knapp 1200 gibt -, Vaterstettener oder sonstige Bedürftige im Landkreis Ebersberg. Sondern, um den Mangel an Sozialwohnungen in der Landeshauptstadt zu kompensieren. Die Infrastruktur dafür bereitzustellen, wäre an der Gemeinde hängen geblieben, der Verkehr der neuen Siedlung in den Straßen Parsdorfs. Ähnlich einseitig wäre eine Ansiedlung der Großmarkthallen. Vielleicht würde sich dadurch die Gewerbesteuersituation für Vaterstetten verbessern. Angesichts ähnlicher großflächiger Gewerbeansiedlungen in der Vergangenheit mag man aber bezweifeln, dass der Gewinn besonders hoch ausfallen würde. Das Gegenteil gilt aber mit Sicherheit für die Lasten, die auf Parsdorf zukommen würden. Das große Verkehrsaufkommen dürfte durch den Lieferverkehr noch wachsen. Auch dass dieser Verkehr größtenteils nicht durch den Ort selbst fließen soll - mit Ausnahme aller Lieferanten mit Ziel im Parsdorfer Süden -, dürfte die Bewohner kaum beruhigen. Denn es macht kaum einen Unterschied, ob man die Lastwagen sieht und hört, oder nur hört, wenn sie nachts auf der Autobahn vorbeidonnern.

Es ist richtig, dass sich eine sinnvolle Gewerbestruktur für die Region am Besten interkommunal entwickeln lässt. Auch den Wohnungsmangel können die Städte und Gemeinden nur gemeinsam lösen. Allerdings sollte das nicht so aussehen, dass eine Partei - in diesem Fall die Stadt München - ihre durch jahrzehntelanges Nichtstun geschaffenen Probleme anderen aufbürdet. Bemerkenswert ist auch, dass in Verwaltung und Gemeinderat lange Zeit offenbar niemandem diese erwartbaren Nachteile einer Verlagerung der Stadt aufs Land aufgefallen sind und es erst eines Antrages bei einer Bürgerversammlung bedarf, um darauf hinzuweisen.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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