Kommentar:Schwache Vorstellung

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Die CSU kritisiert das Einheimischenbauland. Dabei hat sie das Modell selbst mitgestaltet

Von Thorsten Rienth

Plakativer als derzeit in Grafing kann sich die Problematik der Wohnpreisentwicklung im Landkreis kaum widerspiegeln: Ende September 2015 hatte in der Stadt der Preis pro Quadratmeter neuer Wohnungen bei 4800 Euro gelegen. Nun, Anfang April 2017, sind es laut Stadtverwaltung 5300 Euro, zurückhaltend gerechnet. Macht etwa zehneinhalb Prozent in 18 Monaten. Das halten sie zurzeit selbst an der Börse für eine ziemlich passable Entwicklung.

Es geht aber bei der Debatte nicht um Leute, die Geld möglichst gewinnbringend anlegen wollen. Es geht um Leute, die nicht das Glück reicher Eltern hatten und ihre berufliche Erfüllung etwa als Schulbegleiterin oder Erzieher finden. Die Chance auf Wohneigentum haben sie in Grafing praktisch nicht. Und auch die Mieten liegen auf einem Niveau, dass der Umzug weiter raus aufs Land für Angehörige meist sozialer Berufsgruppen unumgänglich wird.

Der Fachterminus, den Sozioökonomen bei solchen Entwicklungen gerne anführen, lautet Gentrifizierung: Eine nicht mehr ausgewogene Sozialstruktur, in der sehr gut bis sehr, sehr gut Verdienende unter sich sind. Wer wissen will, wie das im Kleinen aussieht, muss nur in die Grafinger Wolfsschlucht fahren. Sie entstand als sogenanntes Einheimischenbauland - der Stadtrat verkorkste es aber derart, dass die Grafinger es heute schnippisch "Millionärssiedlung" nennen.

Während Grafing im sozialen Wohnungsbau, also bei günstigen Mietwohnungen, ein landkreisweites Positivbeispiel ist, geht es beim günstigen Wohneigentum umso zäher voran. Das liegt mit daran, dass die CSU-Fraktion bremst, sobald sich Gelegenheit bietet. So auch in der jüngsten Stadtratssitzung. Erst stellte sie das sogenannte Einheimischenbauland als Eckpfeiler einer sozialen Wohnungsbaupolitik gar generell in Frage. Niemand wisse, ob die Leute, die am Ende den Zuschlag erhielten, auch wirklich auf städtische Unterstützung angewiesen seien, war die obskure Begründung. Welch dreiste Behauptung: Der Beurteilung liegt ein detaillierter Kriterienkatalog zugrunde, den die CSU selbst mitgestaltete und für den sie einst auch im Stadtrat votierte. Danach folgte die nicht weiter spezifizierte Kritik, der Wohnungsbau-Grundsatzbeschluss sei vor zwei Jahren viel zu überhastet getroffen worden. Auch das ist nachweislich falsch: Fast ein ganzes Jahr debattierte ihn der Stadtrat. Die CSU trug ihn am Ende sogar selbst mit. Eine ziemlich schwache Vorstellung also, die Grafings stärkste Fraktion da im Stadtrat abgab.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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