Kommentar:In der Zwickmühle

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Welches Gut ist höher zu werten? Der Datenschutz - oder das Recht, nicht gegen den eigenen Willen für eine Partei kandidieren zu müssen? Die Justiz muss nun entscheiden

Von Wieland Bögel

Wann darf man gegen Gesetze verstoßen? Die spontane Antwort wäre: Natürlich nie, sonst bräuchte es ja keine Gesetze. Doch so einfach ist es nicht, das Recht kennt - und definiert ihn ausdrücklich nicht - den Sachverhalt des "übergesetzlichen Notstandes". Demnach kann es legal sein, ein "geringerwertiges Rechtsgut" zu verletzen, um ein "höherwertiges Rechtsgut" zu schützen. Eine Gebrauchsanweisung dazu gibt es wohlweislich nicht, das Ganze ist immer eine Gewissensentscheidung auf eigenes Risiko. Es könnte sein, dass jemand in Vaterstetten eine solche Entscheidung getroffen hat.

Dort ermittelt seit dieser Woche die Polizei. Gerufen hat sie der AfD-Gemeinderat Manfred Schmidt. Er verdächtigt offenbar Verwaltungsmitarbeiter, gegen deren Verschwiegenheitspflichten verstoßen zu haben. Da es sich bei diesen Pflichten um ein Rechtsgut handelt, das möglicherweise verletzt wurde, müssen die Ermittlungsbehörden tätig werden, auch das steht im Gesetz. Offiziell gibt es dazu keine Auskünfte von der Staatsanwaltschaft, verlässliche Quellen berichten aber, dass der Vorwurf lautet, irgendwer - ob im Rathaus oder von außerhalb - habe die AfD-Kandidatenlisten für Kreis- und Gemeinderat vor deren Offiziellwerden veröffentlicht. Was, sollte es denn stimmen, in der Tat unzulässig ist, es sei denn, die entsprechende Partei tut dies von sich aus.

Und hier kommt der Teil mit der Rechtsgüterabwägung: Denn gegen Schmidt gibt es den Vorwurf, er habe Personen überlistet, damit sie ihre Namen auf die AfD-Wahllisten setzen. Kein Beweis, aber durchaus ein Indiz dafür ist die große Geheimhaltung, mit der diese Listen erstellt und sehr zeitnah vor Ende der Rücktrittsfrist eingereicht wurden. Mindestens sieben Personen haben nach eigenen Angaben erst nach der offiziellen Veröffentlichung der Listen von ihrer Kandidatur erfahren. Für einen Rückzug war es da schon zu spät. Dass es nicht zwölf mehr sind, liegt, so vermutet es offenbar Schmidt, daran, dass irgendwer die betreffenden Personen gewarnt hat.

Sollte es sich wirklich so zugetragen haben, wäre es ein Fall für Verfasser juristischer Lehrbücher. Die Frage an die angehenden Juristen könnte in etwa lauten: "Welches Rechtsgut ist höher zu bewerten: der Datenschutz - der potenzielle Kandidaten ja auch davor schützt, von Dritten zu einem Verzicht gedrängt zu werden - oder das Recht, nicht gegen den eigenen Willen für eine rechtsradikale Partei kandidieren zu müssen?" Wie Manfred Schmidt diese Frage beantworten würde, ist bekannt. Es wird interessant sein, zu sehen, ob die Justiz der gleichen Meinung ist.

© SZ vom 13.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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