Kommentar:Existenzielle Veränderungen

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Die Pflegekräfte der Ebersberger Kreisklinik müssen sich in der Corona-Krise mit völlig neuen Aufgaben auseinandersetzen, um Menschenleben zu retten. Das ist an Solidarität und Verantwortungs­bewusstsein kaum zu überbieten

Von Johanna Feckl

Viele Menschen sehen sich derzeit Existenzängsten ausgesetzt. Da geht es nicht nur um einen anstrengenden Home-Office-Alltag, mangelnde Privatsphäre, weil kleine Kinder den ganzen Tag um einen herumspringen, oder viel zu viel Privatsphäre, weil man alleine wohnt und die Einsamkeit zunehmend bedrückend ist. Nein, es sind Ängste ganz handfester Art: Wie soll die nächste Miete bezahlt werden, wenn der eigene Betrieb geschlossen ist oder der Chef Kurzarbeit angemeldet hat? Gut gemeinte Sätze à la "Unternehmen können nicht sterben, Menschen schon" gehen auch nur dann leicht von der Zunge, wenn nicht gerade vom eigenen Unternehmen die Rede ist. Trotzdem: Ein bisschen Wahrheit steckt doch in dieser Phrase. Das wird dann klar, wenn man Pflegedirektor Peter Huber zuhört, wie er von der aktuellen Lage an der Ebersberger Kreisklinik berichtet.

Huber spricht von "radikalen Veränderungen", die im Klinikalltag bereits geschehen sind und noch immer vonstatten gehen. Dem ist absolut zuzustimmen, wenn man bedenkt, dass schon jetzt 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der Klinik in zum Teil völlig neuen Abteilungen eingesetzt sind und neue Aufgaben zu erledigen haben. Genau genommen sind in diesem Fall die Veränderungen eigentlich sogar mehr als radikal - sie sind im wahrsten Sinne des Wortes existenziell. Denn gäbe es den kompletten Umbau in der Organisation der Pflege nicht und sollten die derzeitigen Prognosen tatsächlich zutreffen, dann würden wohl Menschen sterben, die unter anderen Umständen gerettet werden könnten. Existenzielle Veränderungen eben.

Und das Personal macht ohne Murren mit. Das ist an Solidarität und Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Mitmenschen kaum zu überbieten. Erst recht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass ein Großteil der Pflegefachkräfte in Teilzeit arbeitet, wie Huber sagt - und wahrscheinlich zu Hause auch Kinder warten, die betreut werden wollen. Jetzt geht es darum, den Pflegefachkräften all die Unterstützung an die Seite zu stellen, die man auftreiben kann - dazu gehört auch, dass die Unis Lösungen finden müssen, wie mit der Vorlesungszeit ab Mitte April umzugehen ist, denn Medizinstudierende werden dann wohl noch viel mehr in den Kliniken an den Seiten der Pflegefachkräfte gebraucht und nicht in den Hörsälen. Vor allem gilt aber, das Pflegepersonal endlich gerecht für ihre existenzielle Arbeit zu bezahlen. Nicht nur während der Krise, sondern dauerhaft. Vielleicht kann diese längst überfällige Einsicht ein guter Aspekt der Pandemie sein.

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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