Kommentar:Eine Fahrt auf Sicht

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Wenn der Landkreis nun mit 100 000 Euro pro Jahr Wohnkosten für Azubis in der Pflege bezuschusst, wird das sicher nicht für alle reichen. Trotzdem ist Pauschalkritik unangebracht.

Von Johanna Feckl

Eine Fördersumme, die für 83 Auszubildende ausreicht, mag dem ein oder anderen wenig erscheinen. Und das ist es vielleicht sogar, wenn man bedenkt, dass allein in der Kreisklinik aktuell 75 Menschen in einer Pflege-Ausbildung sind - eine Zahl, die der Leiter des Teams Demografie im Landratsamt Jochen Specht in der Sitzung des Kreisausschusses für Soziales, Familie, Bildung, Sport und Kultur sagte. Hinzu kommen noch große Träger wie der Einrichtungsverbund Steinhöring, die Awo oder der Pflegestern, die ebenso Ausbildungen in der Pflege anbieten. Viele ihrer Azubis können wohl bald einen Antrag auf Wohnraumförderung einreichen. Da wäre es doch wünschenswert und fair, wenn all diese Auszubildenden einen Mietzuschuss erhalten würden, wie es Marlene Ottinger (Linke) und Omid Atai (SPD) im Ausschuss forderten - und nicht nur 83.

Ja, wäre es. Noch wünschenswerter wäre es, wenn die Förderung die Miethöhe und das Ausbildungsgehalt berücksichtigen würde. Und es wäre durchaus gut gewesen, wenn die Verwaltung des Landratsamts vollständige Zahlen vorlegen hätte können, wie viele Pflege-Ausbildungsplätze im Landkreis vorhanden sind, wie viele davon belegt sind und wie viele Azubis, die in dieses Feld fallen, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt im Landkreis mieten. Das forderte auch Omid Atai. Die Zahlen, die Jochen Specht dem Gremium mitteilte, waren jedoch unvollständig und damit nur bedingt aussagekräftig.

Aber Politik funktioniert nicht nach den Regeln der Fernsehshow "Wünsch dir was". Die Forderung, die Summe der Bezuschussung nach oben hin unbegrenzt zu öffnen, ist unverantwortlich. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung und der Landkreis nimmt dafür immerhin 100 000 Euro in die Hand. In unsicheren Zeiten wie den diesen, in denen Corona Haushaltsplanungen mehr als schwierig und unsicher macht, grenzen freiwillige Leistungen beinahe an Luxusgüter. Dass der Landkreis die Dringlichkeit, ein attraktiveres Umfeld für Pflege-Azubis zu schaffen, trotzdem nicht herabstuft, ist absolut richtig. Denn Corona hin oder her: Es ist nun einmal dringend.

Die finanziellen sowie personellen Möglichkeiten sind aber durch die Pandemie begrenzt - das ist Fakt. Es wäre naiv, das außer Acht zu lassen und Dinge zu fordern, deren Ausmaß nicht oder nur sehr wage abzuschätzen ist. Die Verwaltung machte keinen Hehl daraus, dass es sein könnte, dass sich die Förderung in dem vorgestellten Modell in ein paar Monaten als unzureichend erweist. Aber dann müsse eben dementsprechend modifiziert werden - wo ist also das Problem? Eine Fahrt auf Sicht, bei der alle paar Meter die Geschwindigkeit angepasst werden kann, ist besser, als blind den Tempomaten einzustellen.

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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