Kolumne:Ein Sheriff namens Bahnhof

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Wenn der Schienenersatzverkehr in Grafing nun sein Ende findet, werden die meisten Bahnfahrer wohl jubeln. Dabei hatte der SEV ungeahnt positive Seiten, zum Beispiel bei der Verbrechensbekämpfung

Von Victor Sattler

Der 9. Juni markiert das Ende einer Ära. Dann, nachdem die SEV-Busse der Deutschen Bahn ihre Schilder aus den Windschutzscheiben nehmen und sich aus ihrem Dasein als reine zweite Wahl befreien, dann wird man keine großen Gedanken mehr an sie verschwenden. An diese Zeit größter existenzieller Unruhe.

Falls man ihr noch einen Seufzer nachwirft, dann höchstens einen verächtlich kummervollen: Jeden Morgen ein paar Minuten Lebenszeit verloren - und dafür nur Radio-Ohrwürmer bekommen. Täglich grüßte das Murmeltier, wenn Passanten den Busfahrer leise nuschelnd fragten, ob dessen Gefährt denn nach Ebersberg und nach Grafing-Stadt aufbreche - um beide Fragen gleich zu wiederholen, diesmal mit dem Finger auf den anderen Bus davor oder dahinter zeigend. Wer die Qual hat, hat die Wahl, werden sich die Leute noch zum Trost gedacht haben.

Jenen, die sich für die Variante ohne Grafing-Stadt entschieden, entgleisten spätestens die Gesichtszüge an der Stelle, wo die Staatstraße 2089 in die B304 mündet und das gelbe Schild "Ebersberg" scheinbar nach rechts zeigt. Dort, wo der Busfahrer sich aber zielstrebig nach links einordnete und der Panik mit einer Gleichgültigkeit begegnet, die nur selten eine therapeutische Wirkung entfalten konnte. "Gerne gedenkt ein Mann der Trübsal", werden die tapferen Fahrer frei nach Homer an ihrem wohlverdienten Feierabend gesagt haben.

Dabei vergessen die meisten wohl, dass der Schienenersatzverkehr durchaus auch äußerst nützlich war; und zwar zur strategischen Irreführung. So fand nun ein Räuber, eilig mitsamt Beute aus Grafing-Stadt flüchtend, den hiesigen Bahnhof gänzlich außer Betrieb vor. Und man wünscht ihm den Groll von Herzen, mit dem er dann grummelig zu Fuß oder per Bus - sicher aber nicht gerade fluchtartig - nach Grafing-Bahnhof gelangt sein muss, um dort die S-Bahn zu nehmen. An diesem Punkt war sein Frust wahrscheinlich schon so groß, dass es ihn gar nicht mehr stören konnte, als die Polizei ihn am Gleis in Gewahrsam nahm.

Es ist damit nur fair, zu sagen, dass den SEV und das SEK aus gutem Grund nur ein Buchstabe trennt; dienen sie doch beide auf ihre Weise dem Gesetz. Und während Polizeifahrzeuge und Hubschrauber noch großflächig suchten, hatte der Bahnhof den Mann längst festgesetzt, ohne sich dafür einen Millimeter zu bewegen. In diesem besonderen Fall war der Schienenersatzverkehr tatsächlich einmal schneller

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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