Klänge aus vier Jahrhunderten:Sternstunde der Musik

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Das Goldmund-Quartett bei den Grafinger Rathauskonzerten

Von Peter Kees, Grafing

Kennen Sie das? Sie sitzen in einem Konzert und bekommen Gänsehaut? Beim Rathauskonzert des Kulturvereins Grafing richteten sich die Körperhärchen auf, und zwar mehrfach. Auf dem Podium: das Goldmund-Quartett mit Florian Schötz und Pinchas Adt an den Violinen, Christoph Vandary an der Viola und Raphael Paratore am Violoncello. Auf dem Programm: Streichquartette von Mozart, Fazil Say und Johannes Brahms.

Schon der Einstieg kündigte einen großen Abend an. Leicht, spritzig, spielerisch, dabei zupackend erklang der erste Satz Allegro vivace assai aus Mozarts Streichquartett Nr. 14, G-Dur, KV 387. Man sperrte die Ohren auf. Äußerst feinsinnig musizierten da vier junge Männer und gestaltetet jenes 1782 komponierte Streichquartett - eines aus den sechs sogenannten Haydn-Quartetten - bestechend schön. Es stimmte einfach alles, von der Tongebung über das Tempo, der Rhythmik bis hin zum auffallend homogenen Zusammenspiel der vier Streicher. Mozart widmete dieses Werk Joseph Haydn und dass es seinerzeit schon weit in die Zukunft wies, offenbart spätestens der zweite Satz, Menuetto. Allegro. Wer hier einen klassischen Menuett-Satz erwartet, der irrt. Chromatik taucht auf, fast düstere Stimmung im Trio. All das erinnert an romantische Musik. Dabei gilt das Entstehungsjahr 1782 als Schicksalsjahr der Klassik, als Durchbruchsjahr einer jungen Künstlergeneration in der Pfalz, in Weimar und Wien hin zum klassischen Stil. Schillers Räuber entstammen diesem Jahr, Haydns Streichquartette Opus 33 (aus dessen erstem Quartett der letzte Satz später als Zugabe zu hören war) und Goethes Erlkönig. Die Zeit des Sturm und Drang ist mit erhöhter Emotionalität gekoppelt, die das Goldmund-Quartett in allen vier Sätzen dieses Werkes wunderbar zu vermitteln wusste, ohne dabei übertriebene Gesten an den Tag zu legen.

Expressiv angelegt war auch das zweite Stück des Abends: Fazil Says Streichquartett op.29 "Divorce" aus dem Jahr 2010. "Divorce" heißt "Scheidung." Der international renommierte türkische Pianist und Komponist hat sich in diesem Streichquartett von persönlichen Erfahrungen leiten lassen und den Versuch unternommen, "Erlebnisse wie Scheidung, Trennung und das Scheitern einer Beziehung in der Sprache der Musik anhand von Tönen und Rhythmen zu erzählen." Wild geht es zu, deftig, aggressiv. Ruhiger der zweite Satz, fast wie eine Reminiszenz nach einem Albtraum, schmerzliche Erinnerungen, verzerrte Wirklichkeit. Der dritte Satz könnte ein Trauma beschreiben. Wieder klingt es brachial. Die Komposition ist meisterhaft. Manchmal fühlt man sich ein wenig an Schostakowitsch erinnert, Jazz-Elemente klingen ebenfalls an. Auch hier gibt es immer wieder Momente, die Gänsehaut erzeugen, dank der fabelhaft kraftvollen Interpretation des Münchner Quartetts.

Emotionen erreichten in der Musik der Romantik und Spätromantik einen Höhepunkt. Kein Wunder, dass nach der Pause ein Vertreter dieser Epoche gespielt wurde: Johannes Brahms zweites Streichquartett a-moll op. 51 Nr. 2. Abermals bekam man Gänsehaut. Warme kräftige, satte Tongebung, emotionale und zugleich gut strukturierte Gestaltung, Schmelz, aber nicht zu dick, prägten das mitreißende Spiel dieses Werks.

Was man an diesem Abend erleben konnte, war eine Sternstunde der Musik. Von diesem Ensemble, das so wunderbar zusammenspielt, wird man noch einiges hören. Doch wo waren die jungen Leute? Die jüngsten saßen wohl auf dem Podium. So langsam sollte es sich herumgesprochen haben, dass es in Grafing mitunter Konzerte gibt, die man sonst nur in den großen Konzertsälen dieser Welt zu hören bekommt.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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