Kirchseeoner Musikliebhaber:Auf den Spuren Diabellis

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Gerhard Mülleritter lobt mit seinem Verein "Carl Orff Competition" Wettbewerbe für Komponisten aus, die weltweit Beachtung finden

Von Alexandra Leuthner

Am Anfang war ein Morsecode in Sechzehntel- und Achtelnoten. "Irini" genannt, was griechisch ist und übersetzt "Frieden" bedeutet. Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes hatten die Veranstalter des ersten Diabelli-Wettbewerbs 2014/2015 genau dieses Thema ausgewählt - und Komponisten in aller Welt aufgerufen, sich ihre jeweils eigenen Gedanken dazu zu machen und sie in einem Klavierstück umzusetzen. Und schon war eine kleine Tradition geboren.

Viermal hat der damals gegründete Verein, der inzwischen von "Diabelli Contest" in "Carl Orff Competition" umbenannt wurde, seither einen Kompositionswettbewerb ausgelobt, an dem Musikschaffende aus Argentinien, Venezuela oder Bolivien ebenso teilnahmen wie aus Deutschland, Italien, Russland, Kanada oder USA. Immer geht es dabei um Variationen zu einem vorgegebenen musikalischen Thema - anknüpfend an den legendären Aufruf des Wiener Komponisten Anton Diabelli im Jahr 1819, der seine damaligen österreichischen Berufskollegen aufforderte, ihm Variationen zu einem vierzeiligen Walzer-Thema zu schicken. Spätestens, als Ludwig van Beethoven darauf reagierte und vier Jahre später nicht nur eine, sondern gleich 33 Fassungen der Melodie ablieferte, sollte den Diabelli-Variationen künftige Berühmtheit gewiss sein.

An jene Geschichte hat auch der Kirchseeoner Gerhard Müllritter gedacht, als er 2014 den Wettbewerb ins Leben rief und den Verein gründete - dem jetzt der Bayerische Landtag einen Zuschuss in Höhe von knapp 30 000 Euro aus dem Kulturfonds bewilligt hat. Allerdings sind die Mittel nicht, wie nach einer Fehlinformation gemeldet, für ein Unterfangen in Kirchseeon bestimmt, sondern fließen in die Organisation eines Carl-Orff-Festivals in Andechs, das Ende Juli, Anfang August dieses Jahres stattfinden soll. Müllritters Verein mit Sitz in Kirchseeon ist Co-Veranstalter und wollte das Schlusskonzert seines aktuell ausgelobten Wettbewerbs im Rahmen des Festivals über die Bühne gehen lassen. Doch das Konzert musste schon zum zweiten Mal wegen der Corona-Pandemie verschoben werden: Die Schüler, welche die Werke der Nominierten aufführen sollen - diesmal ein Volkslied mit einer Auswahl an Orff-Instrumenten vertont -, können wegen der Kontaktverbote nicht gemeinsam üben. "Im nächsten Jahr aber, da wird es ganz sicher stattfinden", erklärt Müllritter zuversichtlich.

Variationen gesucht: Gerhard Müllritter veranstaltet die "Carl Orff Competition". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Er ist seit 1993 in Kirchseeon zu Hause, leitet neben dem Salonorchester München auch einen Chor und war 2018 Mitveranstalter eines Musikfestivals in Zorneding. Müllritter, Musikliebhaber mit jeder Faser, ist der Kopf hinter Wettbewerb und Verein. "Eigentlich wollte ich mal Pianist werden", erzählt er am Telefon. Weil dieser Markt aber nicht ganz einfach zu bespielen sei, habe er stattdessen nach dem Abitur am Pestalozzi-Gymnasium BWL studiert, mehrere Technologiefirmen geleitet und schließlich 2005 die Internetplattform "Musicalion" gegründet, eine Art Bücherei für Noten. Um sich fortan damit zu beschäftigen, was ihm am meisten Spaß macht: Musik.

Unter den mehreren zehntausend Nutzern von Musicalion sind viele Komponisten und Musiker, die hier ihre Werke einstellen, sich nach Zahlung eines jährlichen Beitrags aber auch Noten herunterladen können, wie bei einer Bibliothek, so lange ihre Mitgliedschaft dauert. Er habe selbst als junger Mann ständig in den Gasteig laufen müssen, um sich Klaviernoten auszuleihen, erzählt der Kirchseeoner, da habe er irgendwann beschlossen, es anderen, die so ticken wie er, leichter zu machen. Viele Musiklehrer, Chor- und Orchesterleiter gehören zu seinen Kunden - die viel Geld sparen können, wenn sie die Noten für ihre Ensemblemitglieder über das Portal legal herunterladen und vervielfältigen dürfen. Stücke aus allen Epochen sind hier zu finden, vom Barock bis ins 21. Jahrhundert, für Einzelinstrumente, Ensembles oder Gesang, aus Klassik, Pop, Rock, Jazz, Volks- oder Weltmusik.

Komponist Wilfried Hiller fungiert als musikalischer Leiter und fester Juror des jährlichen Wettbewerbs. (Foto: Veranstalter)

Auf den Gedanken, einen Wettbewerb auszuloben, sei er gekommen, weil er gerade die noch unbekannten Komponisten gerne unterstützen wolle, die bei ihm ihre Werke einstellten. "Es ist ja so, dass die Jungen es schwer haben gegenüber den Klassikern", oft gingen ihre Werke nur "als Beifang" weg. "Aber sie veröffentlichen bei mir, da wollte ich ihnen etwas zurückgeben." Und so kann man auch jede Einreichung zum Wettbewerb auf der Seite von Musicalion einsehen, teils auch anhören, wenn der Komponist sie selbst einspielen konnte. Erstaunlicherweise würden aber doch viele Werke am Ende nominiert, von denen nur das Notenblatt zu sehen sei, sagt Müllritter und berichtet von bis zu 100 000 Zugriffen. Die fünf besten Publikumsvorschläge ziehen gemeinsam mit fünf Jury-Vorschlägen ins Finale ein. Bei einem Schlusskonzert werden dann die drei Gewinner von der Jury ermittelt.

Unterstützt wird Müllritter in der Ausrichtung und Wertung des Kompositionswettbewerbs von Wilfried Hiller. Der Komponist, der unter anderem als kongenialer Partner des Schriftstellers Michael Ende bekannt geworden ist, fungiert als musikalischer Leiter des Wettbewerbs und sitzt von Anfang an in der ansonsten jährlich wechselnden Jury. Als langjähriger Tonmeister und Musikredakteur beim Bayerischen Rundfunk verfügte Hiller nicht nur über ein profundes musikalisches Wissen, sondern auch über die notwendigen Kontakte, um den Wettbewerb anzuschieben, dem es an einer ausreichenden Teilnehmerzahl allerdings nicht mangelt. Zwischen 600 und 700 Kompositionen seien alles in allem bislang eingereicht worden, von etablierten Komponisten ebenso wie von Newcomern. "Das war mir immer wichtig, dass es keine Eingangsvoraussetzungen gibt", - allerdings komme es schon mal vor, dass sich jemand zum Wettbewerb anmelde und dann doch keinen Beitrag liefere, berichtet Müllritter. "Es ist ja ein Riesending, so ein Stück zu komponieren, das kann keiner von Anfang an, wenn er nicht gerade Mozart heißt", scherzt er, "ich bewundere jeden, der das schafft".

Die Wettbewerbe ziehen sich jeweils über den Zeitraum eines Jahres, etwa sechs Monate haben die Komponisten Zeit für die Ausarbeitung ihrer Variation. Das Thema wechselt dabei ebenso wie die gewünschte Instrumentierung, mal ging es um die Bearbeitung eines Melodiestücks aus einer Mozart-Fantasie und eine Akkordsequenz von Carl Orff für Orgel, mal um ein Lied über einen Ausschnitt aus einem Rilke-Sonett. Über die Preise des Wettbewerbs, die mit 5000, 3000 und 1000 Euro datiert sind, entscheide letztlich "das organische Gesamtbild" einer Komposition, der "eigene Fußabdruck ihres Schöpfers", erklärt der Organisator. "Am Schluss muss der Zuhörer es attraktiv finden, er muss etwas davon haben - so wie im Konzertsaal, wenn plötzlich alle zugleich anfangen zu wippen."

© SZ vom 21.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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