Kirchseeon:Mit Holzkugeln durch den Wald

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Eine Holzkugel mit möglichst wenigen Würfen durch den Wald bewegen, darum geht es beim Boßeln. Ganz wichtig: ein Bollerwagen mit Brotzeit. (Foto: Christian Endt)

Die Sportart Boßeln ist in Bayern eher unbekannt, wird in Kirchseeon aber hochgehalten. Dabei sind Spaß und ordentliche Brotzeit mindestens so wichtig wie der Punktestand

Von Max Nahrhaft, Kirchseeon

"Du Bandit, wie hast du den denn rausgezaubert. Da trinken wir erst einmal einen drauf", ruft Leo Lidschreiber, als einer seiner Mannschaftskollegen die hölzerne Kugel weit über den Waldweg im Ebersberger Forst wirft. Die beiden Männer gehen zum Bollerwagen und stoßen mit einem frischen Bier auf den Jahrhundertwurf an. Dann geht es wieder weiter. Das andere Team ist an der Reihe und versucht, seine Kugel noch weiter zu werfen.

Wenn man sich nun fragt, was die 40 Frauen und Männer dort im Forst machen - sie boßeln. Zwei Mannschaften spielen gegeneinander und versuchen jeweils ihre Holzkugel mit möglichst wenig Würfen über eine bestimmte Wegstrecke zu befördern. Wer dann weniger Würfe benötigt, hat den Wettkampf gewonnen.

Wobei das Wort Wettkampf der falsche Ausdruck ist. Denn es geht hier weniger um sportlichen Ehrgeiz, als mehr um das gesellige Zusammensein. Gespielt wird zeitversetzt in drei Gruppen mit jeweils zwei konkurrierenden Teams von sechs Personen. Und sogar an die Geschlechtergleichstellung wurde gedacht - es gibt eine Frauenquote für die Teams und leichtere Holzkugeln für die Mitspielerinnen. Barbara Vogl sagt: "Ich bin heute zum ersten Mal dabei. Es macht einfach Spaß, dass man an der frischen Luft in der Natur ist und seine Zeit mit netten Leuten verbringt."

Die Regeln des Spiels sind in jedem Verein etwas anders und werden nur dann besonders ernst genommen, wenn sich die Möglichkeit für einen belustigten Zwischenruf bietet. "Von so weit vorne darfst jetzt aber nicht werfen", sagt Thomas Nocker. "Also ich würde links bleiben mit ein bisschen Effet nach rechts", rät Lidschreiber. Die Mitspieler achten aber auch genau darauf, ob sich nicht die Chance bietet zu trinken. "Wenn man zum Beispiel beim Wurf die Kugel der anderen trifft, stoßen wir mit einem Schnaps an", so Michael Stengert, der Vorsitzende des Boßelclubs Kirchseeon. Jeder der Teilnehmer hat ein kleines Schnapsglas an einer Schnur um den Hals hängen, um im Notfall gerüstet zu sein. Und auf den Notfall freuen sie sich alle.

"Im Vordergrund steht wirklich die freundschaftliche Atmosphäre, das Gewinnen ist eher zweitrangig", so Stengert. Hier hat jeder gewonnen, der seinen Spaß am Spiel hat. "Ich bin seit 18 Jahren jedes Mal dabei, aber wurftechnisch hat mir das gar nix gebracht - ist ja auch nicht wichtig. Ich bin schon froh, wenn die Kugel gerade wegfliegt", sagt Stefan Ratspieler mit Wurstbrot in der einen und Bier in der anderen Hand. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die ein Kilo schwere Kugel nach einer gewissen Zeit immer vom Forstweg abkommt, im unwegsamen Gelände abbremst und liegen bleibt. Stengert sagt: "Man sollte immer so spielen, dass sie möglichst lange auf dem Weg bleibt." Für die 4,5 Kilometer lange Strecke braucht jedes Team ungefähr 200 Würfe.

Mit steigendem Alkoholpegel wird auch die Stimmung der Mitspieler immer ausgelassener. Inmitten der idyllischen Stille im Ebersberger Forst hallen immer wieder die Rufe und Gesänge der Boßler. Vater Leo und Sohn Tobias Lidschreiber grölen: "So sehen Sieger aus." Der Sport verbindet ganze Generationen miteinander.

Ursprünglich kommt die Sportart aber aus dem hohen Norden Deutschlands, wo das Boßeln traditionell auf Deichen und gefrorenen Wiesen praktiziert wird. "Das was die im Norden machen ist aber nicht mit uns vergleichbar. Die schwingen ihre Arme wie in den Asterix-Heftchen und werfen auch viel weiter. Da haben wir keine Chance dagegen. Aber das Drumherum ist genauso wie bei uns", sagt Ratspieler. Damit meint er das, was neben dem Spiel passiert. Die Gruppe zieht einen großen Bollerwagen mit reichlich Bier, Schnaps und Brotzeit hinter sich her, der zum Haupttreffpunkt der Gruppe wird. "Wenn Schnee liegt, ist es noch besser, da nehmen wir einen Schlitten anstatt einen Bollerwagen. Außerdem ist die ganze Landschaft so schön weiß", sagt Tobias Lidspieler.

Es ist norddeutscher Brauch, dass man sich nach dem Boßeln abends gemeinsam zum Grünkohlessen trifft. "Davon konnten wir unseren Stammwirt noch nicht ganz überzeugen, aber auch wir freuen uns auf ein schmackhaftes Essen nach den langen Stunden im Wald", sagt Stengert. In der Wirtschaft werde dann auf den gelungenen und unterhaltsamen Tag angestoßen.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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